Versorgungsmanagement statt Lobbyismus

■ Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer und Mitinitiator eines neuen gesundheitspolitischen Forums, plädiert für eine Alternative zur Gesundheitsreform

taz: Am vergangenen Wochenende haben 130 Mediziner, Gewerkschafter und Mitarbeiter von Sozialverbänden das „Forum für kritische Sozial- und Gesundheitspolitik“ gegründet. Was ist das Ziel des Forums?

Ellis Huber: Ziel ist eine Reanimation des Sozialen in der Marktwirtschaft und damit der Versuch, die zerstörerische Gewalt der Bonner Regierung mit einer gesellschaftspolitischen Gegenoffensive zu beantworten. Zu diesem Zweck wird es Veranstaltungen, Veröffentlichungen und wissenschaftliche Kongresse sowie politische Aktionen geben.

Am Freitag beschlossen Gesundheitsexperten der Koalition, die gesetzliche Ausgabenbegrenzung für Arzneimittel abzuschaffen. Eckart Fiedler, Chef der Barmer Ersatzkasse, warnt, ohne Gesamtbudget drohe ein Kostenschub in Milliardenhöhe. Sie dagegen begrüßen die Abschaffung des Budgets.

Ich halte nichts davon, mit Budgets die Steuerungsprobleme im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Unser Ziel innerhalb der ärztlichen Selbstverwaltung ist eine optimale Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung bei minimalem Kostenaufwand. Wir brauchen völlig neue Konzepte: Keine Zwangsveranstaltung des Staates von oben, sondern ein modernes Management, das Gesundheitsversorgung und ökonomische Verantwortung integriert.

Sind Sie einverstanden mit Seehofers Plänen, daß Mediziner, Kassen und Arzneihersteller eine Ausgabenbegrenzung selbst aushandeln, die sich an den speziellen Fachgruppen der Ärzte orientiert?

Nein. Die Bundesregierung bedient gegenwärtig die Interessen des medizinisch-industriellen Komplexes, und sie belohnt diejenigen Teile der Ärzteschaft, die ein geringes Maß an sozialer Verantwortlichkeit aufbringen. Die Bonner Regierung ist zum größten Lobbyisten für die Industrieinteressen der Pharmaproduzenten geworden. Die Amerikanisierung des deutschen Gesundheitssystems führt zu höheren Profitraten der Dienstleistungserbringer, zerschlägt aber gleichzeitig das soziale Bindegewebe. In Deutschland ist der Rechtsrahmen so, daß die Umsatzinteressen der Industrie höher bewertet werden als die gesellschaftlichen Interessen einer sparsamen Gesundheitsversorgung und auch die gesundheitlichen Schutzinteressen des Verbrauchers. Darin unterscheidet sich Deutschland von den anderen europäischen Staaten.

Sie lehnen das Gesamtbudget ebenso ab wie die Änderungsvorschläge der Koalitionsexperten. Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Ich schlage vor, daß die Ärzteschaft und die Krankenkassen gemeinsam die Verantwortung für eine kostensparende Gesundheitsversorgung in ihrer Region übernehmen und dies durch ein vernünftiges Versorgungsmanagement sicherstellen. Kämpfe um Budgets bringen nichts, weil sie den Blick auf das falsche Ziel richten. Interview: Leif Allendorf