System Kohl? System CDU!

■ Helmut Kohl tritt 1998 wieder an – wer sonst

Jetzt fängt er auch noch an zu heulen. Natürlich sei er kein Denkmal, das über aller Kritik stehe, verkündete Helmut Kohl in der FAZ. Ärgerlich sei es nur, wenn Kritik nicht um der Sache willen geschehe. „Ich finde“, sagte der Kanzler über sich selbst, „auch Helmut Kohl hat Anspruch auf ein Mindestmaß an Fairneß.“ Ach Gottchen. Das klingt wie Rudolf Scharping für Besserverdienende.

Damit hat die CDU das letzte Stadium ihrer SPD-Krise erreicht: Der Vorsitzende jammert, seine Partei möge doch bitte, bitte wieder lieb zu ihm sein. Doch im Gegensatz zu Scharping wird Kohl diesen Schwächeanfall überleben. Die CDU ist realistisch. Sie wird wieder lieb zu ihrem Chef sein.

Alle Annahmen, Helmut Kohl sei schon so gut wie tot, beruhen auf einem Mißverständnis des Tabubruchs, der sich in den zurückliegenden Wochen in der CDU vollzogen hat. Es gibt keinen Aufstand gegen Kohl. Der Tabubruch besteht vielmehr darin, daß einige Parteimitglieder nicht artig waren. Sie haben sich in demonstrativer Unbotmäßigkeit dem System Kohl verweigert. Ab jetzt hat der Alleinherrscher Helmut Kohl nicht mehr das letzte Wort.

Aber er hat immer noch das erste Wort. Der Führungsanspruch des Kanzlers ist in den letzten Wochen von keinem ernsthaft in Frage gestellt worden. Von Schäuble nicht, von Stoiber nicht und von den sogenannten jungen Wilden schon gar nicht. Die sind so wild wie die wilde Frische der Fa-Seife und empfehlen lauthals Schäuble als Kanzler – wenn denn Kohl nicht mehr will, wie sie kleinlaut hinterherschicken.

Mag ja sein, daß nicht mehr alle in der Union uneingeschränkt daran glauben, daß die nächsten Wahlen nur noch mit Kohl zu gewinnen sind. Aber alle wissen, daß es keine andere Wahl als Kohl gibt. Und der katholische Realismus hat diese Partei noch immer diszipliniert. Sie alle wollen an der Macht bleiben, das ist der Antrieb ihrer Politik. Sie werden nicht mehr wie früher auf das Wort ihres Gebieters warten, sondern ihren angeschlagenen Bundeskanzler ganz vorsichtig schieben – aber seine Entscheidung, 1998 wieder anzutreten, wird bei allen Beifall finden. Und von einer Großen Koalition will dann keiner geredet haben. Vom einst glänzenden System Kohl ist der Lack ab, das System CDU aber funktioniert immer noch reibungslos. Jens König

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