Herr Pastor kommt filmen

■ Neues aus Golzow: „Da habt Ihr mein Leben“ im Forum

„Das größte Problem des Projekts ist sein Autor“ – zerknirscht und gekränkt zitierte Winfried Junge in der Diskussion, die nach seinem Film im Delphi entstand, einen Kritiker. Der dreizehnte Film seit Beginn des Unternehmens 1961, als es noch eine DEFA- Auftragsarbeit war, und der siebte, seit Junge sich 1980 entschloß, in Einzelbiographien zu erzählen, sagt „Da habt Ihr mein Leben – Marieluise, Kind von Golzow“ tatsächlich mindestens ebensoviel über den Regisseur wie über seine Protagonistin. Das mag nicht zuletzt daran liegen, daß Marieluise Protestantin ist und einen dadurch schon auf die richtige Fährte lockt.

Ich habe mich immer gefragt, wie man wohl die Rolle beschreiben könnte, die Junge seinen Golzowern gegenüber spielt, denn ein schlichter Chronist ist er mit Sicherheit nicht. Hier fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Junge ist ein filmender Pastor. Er kommt bei Hochzeiten, bei Geburten von Kindern, bei Berufs-und Wohnortwechseln vorbei und möchte nicht über Äußerlichkeiten sprechen, sondern dringt immer gleich zum Inneren vor.

„Und, haste den nun vergessen, den Musiklehrer?“ fragt er Marieluise, nachdem sie ihren jetzigen Mann Steffen geheiratet hatte. Die Fragen werden dabei in einer tendenziell depressiven Tonart gestellt, die durchblicken läßt, daß die Menschen ihre Hoffnungen immer ein bißchen höher hängen, als die Welt letztlich hergibt. Diese protestantische Weltskepsis hängt sich natürlich gern an den Verlust der DDR. Das fällt vor allem in diesem Film auf, weil Marieluise und ihr Mann ihre Geschichte mit einer Aufwärtskurve erzählen, während Junge ihnen immer wieder einen Desillusionsroman entlocken will.

Bestes Beispiel sind Steffen Seidels Erfahrungen mit der Bundeswehrhochschule in Hamburg im Vergleich zu dem, was er bei der NVA erlebt hat. Galten da Geheimniskrämerei, Verdruckstheit und preußischer Untertanengeist, schreibt er in Hamburg Aufsätze über „Weltethik“ und „Weltreligion“. Man sieht nachgerade, wie sich sein Gesicht im Laufe der letzten Jahre aufhellt. Marieluise, die als Kind alle möglichen Optionen für sich selbst durchgespielt hatte, war schließlich mit Chemielaborantin offenbar im falschen Fach gelandet, sah in der DDR aber keine Möglichkeit mehr, umzusatteln. Nicht nur die Reise nach Dänemark ist es, die ihr den Freiheitsgewinn klarmacht, sondern der Besuch im Schönheitssalon, die Möglichkeit, ein anderer Typ zu werden, einen anderen Lebensentwurf zu probieren, kurz: die Individualisierung hat es ihr angetan, und genau das ist Junge ein Dorn im Auge. Daß diese seine Haltung aufs peinlichste mit dem Genre der Biographie kollidiert, hat man noch nie so sehr gemerkt wie in dem völlig falsch betitelten „Da habt Ihr mein Leben“. Mariam Niroumand

„Da habt Ihr mein Leben. Marieluise – Kind von Golzow“. D 1996. 141 Min. Regie: Barbara und Windfried Junge.

Heute: 19.30 Uhr Akademie, 19 Uhr Babylon im Zeughaus