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Filmfeste BiographienEinsam sein

■ Berühmt werden: Zwischen Solidarität und Konspiration

Es gibt einen dummen Witz über Roland Barthes. „Why was he run over by a car?“ „He couldn't read the signs.“

Der Tod des Zeichenspezialisten, der im Wald der Zeichen das Zeichen nicht mehr erkennt: ein wahrer Kern im schlechten Geschmack. Und diesen Kern repräsentieren zwei Figuren, die in sehr unterschiedlichen Filmen auftauchen, nämlich Larry Flynt und Christian Specht.

Vor ein paar Jahren war Christian Specht der „Mann mit der Holzkamera“ – ein korpulenter junger Mann mit einem gewissen schuldigen Grinsen, der auf einem Radius von fünf Metern jede Massenveranstaltung zum Kippen bringen konnte. Inzwischen, nun 28 Jahre alt, hat er sich losgesagt von seinem Arsenal von Profi- Fakes: der Holzkamera und der Holz-E-Gitarre. Er ist erwachsen geworden. Bei der taz, heißt es in „Oh, Mitternacht, oh Sonnenschein“ von Imma Harms und Thomas Winkelkotte, hat er einen Schreibtisch. Er bekommt Post von Verbänden und Parteien. Der andere, Larry Flynt, ist wohl nahezu doppelt so alt und lebt in einem Palast in Los Angeles. Er sitzt als Folge eines Attentats im Rollstuhl und ist das lebende Vorbild von Milos Formans „Larry Flynt“.

Beide, Flynt und Specht, sind Darsteller in einer politischen Arena. Sie wollen mehr wissen als andere, und sie riskieren viel. Sie funktionieren wie politische Barometer. Flynt, der Herausgeber des Sexmagazins Hustler, hat das religiöse Establishment Amerikas zur Raserei gebracht. Christian Specht fragt auf Demonstrationen Zivilpolizisten nach ihren Ausweisen. Beide sind rhetorisch heiß, cholerisch, egozentrisch und unberechenbar, wenn die Gegenwelt mit der Form droht, der Verhaftung, der Psychiatrie (Flynt war schon drin, Specht fürchtet, daß er reinkommt).

Sie sind Repräsentanten des schlechten Geschmacks: Flynt von krude gebrochenem Pin-up, Specht als Liebhaber bajuwarischer Volksmusik. Beide sind gut, um Fragen der Freizügigkeit bündig zu thematisieren. Auf bestechende Weise geben sie Fälle ab, die unter dem Gesichtspunkt bürgerlicher Rechte relevant sind. Und dann stehen sie nicht zum zivilen Vertrag. Larry Flynt sitzt in einer Windel vor dem hohen Gericht, und die Windel ist die Flagge der USA. Christian Specht entrollt auf einer heiklen Demo das Signet der PKK.

Bei beiden sind immer gewaltige und geheime Mächte im Bunde. Hat nicht doch der CIA auf Larry Flynt geschossen? Ist nicht am Ende Christian Specht ein Doppelagent, Angestellter der taz, gesteuert von der politischen Polizei? Oder werden, wie Christian Specht filmreif zu Protokoll gibt, Horden von Zivilbullen aufgefahren, um „aufzupassen, daß mir nichts passiert“?

„Ich habe meine Männlichkeit verloren, aber sie haben etwas übriggelassen: mein Hirn.“ So oder ähnlich Larry Flynt in dem Film von Forman. Das, könnte man sagen, unterscheidet ihn von Specht, der aufrecht geht, aber nicht lesen und schreiben kann. Aber auch wenn Flynt ein Multimillionär ist, der seine Frau an Aids verloren hat, und Christian Specht bei seiner liebenswürdigen Großmutter in Westberlin lebt: Flynt und Specht – sie sind beide einsam, wie es unter Prominenten üblich ist. Ulf Erdmann Ziegler

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