"Wie Begegnungen eben sind"

■ Der holländische Dokumentarfilmer Johan van der Keuken gibt Auskunft über Zuneigung, Erinnerung und komplizierte Familienbeziehungen in seinem Forum-Film "Amsterdam Global Village"

taz: „Amsterdam Global Village“ dokumentiert über vier Stunden das Leben von Menschen, deren privaten Geschichten Sie nachspüren. Wie haben Sie all diese Personen kennengelernt?

Johan van der Keuken: Als mir 1993 für mein Treatment Gelder bewilligt wurden, habe ich mit einem Ethnologen über die Sache gesprochen. Einfach weil er unglaublich viele Personen kennt. Wir haben zunächst den jungen Mann aus Bolivien besucht, der ein Musikfestival in seiner Heimatstadt organisieren sollte, während er in Amsterdam als Raumpfleger arbeitet. Daraus ergab sich für mich sofort ein Bild. Es sind ja fünf Hauptpersonen, denen eine Vielzahl von sekundären und auch tertiären Figuren beigestellt sind. Jede Figur steht für etwas ein: Das geht von Henny, der jüdischen Dame, bis zu den beiden Clochards, deren Bedeutung für den Film eher am Rand angesiedelt ist. Sie tauchen für einen Moment auf und sind dann wieder weg – wie Begegnungen eben sind.

Sie bringen den Personen viel Zuneigung entgegen. Hätten Konflikte nicht in Ihr Bild von Amsterdam als Global Village gepaßt?

Ja. Das ist doch ein Wert heute, weil so viel Offenheit bedroht wird. Früher habe ich die Filme kontrovers angelegt und mich oft gegen die Personen gestellt, mit denen ich gesprochen habe. Bei „I Love Dollars“ von 1988 merkt man, wie archaisch ihre Haltung zur Macht des Geldes ist.

Welchen Einfluß hatten die Portraitierten selbst auf die Gestaltung des Films? Konnte Khalid als Mopedkurier sagen, wie er aufgenommen werden wollte?

Die Idee, eine kleine Kamera auf seinem Moped zu installieren, war mir schon vorher gekommen. Aber die große Szene, wo sich die Kuriere und die Skater vor dem Rijksmuseum begegnen, wurde nur von der Art bestimmt, wie sich die Leute untereinander verhalten. Da hätte ich nichts vorgeben können, denn die Gruppe war in sich sehr geschlossen. Am Ende hat Khalids hektische Lebensweise viel von dem Tempo und den kurzen Schnittwechseln im Film geprägt.

Dabei sieht man immer wieder Bilder aus anderen Medien, Fernsehereignisse, Fotos, Computerspiele. Was für eine Rolle spielen diese Bilder im Film?

Das sind verschiedene Schichten von Wirklichkeit, die unserer Wahrnehmung entsprechen. Mir sind oft die Kategorien von Dokumentar und Fiktion viel zu streng: Der Film kommt aus einer Wirklichkeit, wird auf der Ebene der Fiktion verarbeitet und geht dann zurück in die Wirklichkeit der Zuschauer. Ein Beispiel dafür ist der Clochard, der draußen vor dem Café steht und durchs Fenster auf den Fernseher schaut, während die Leute drinnen Karten spielen. Aber bei ihm hat mich vor allem das taktile Verhältnis interessiert: Er ist am meisten auf der Straße und am wenigsten in Kontakt mit der Gesellschaft.

Durch diese gleichbleibende Aufmerksamkeit bleiben die meisten Szenen erstaunlich unhierarchisch.

Deshalb habe ich auch die Liebesszenen gedreht, weil es da um Erotik ohne Machtverhältnisse geht. Man sollte spüren, daß ich auch dabei bin, mit den Leuten.

Es sind auch sonst immer Freundschafts- und Familienbeziehungen, mit denen sie die Erzählung zusammenhalten. Ist „Amsterdam Global Village“ so eine Art der Versöhnung?

Die Familie ist im Westen und von mir selbst auch als ein Ort der Ordnung und Beschränkung wahrgenommen worden. Aber wenn man sich seine eigenen Gefühle anschaut, merkt man, daß sie auch ein unglaublicher Ort der Liebe ist. Natürlich bleibt das Ganze im Film sehr zweideutig: Die bolivianische Frau auf dem Land ist mit ihrem Mann unglücklich. Damit wird gegen den Mythos gearbeitet, daß die Verhältnisse außerhalb der Stadt schöner oder gar natürlicher wären. Aber die Tatsache, daß die meisten Frauen mit ihren Männern zufrieden waren, gab mir auch eine gewisse Genugtuung nach bald 20 Jahren Feminismus, wo die Männer ständig kritisiert wurden. Interview: Detlef Kuhlbrodt,

Harald Fricke

„Amsterdam Global Village“. NL 1996, 245 Min., Regie: Johan van der Keuken

Heute, 20 Uhr, Arsenal, 19.2.: 17 Uhr Akademie