An der Zampano-Kreuzung

Gefühlskino wie vor vierzig Jahren: „Der englische Patient“ von Anthony Minghella nach dem Roman von Michael Ondaatje im Wettbewerb  ■ Von Anke Westphal

An der Wüste sind nicht wenige Regisseure gescheitert. Man denke nur an Bertolucci und seine Verfilmung von Paul Bowles „Himmel über der Wüste“. Literaturadaptionen enden, ähnlich wie Bibel- exegesen, sowieso selten im Konsens: hier die fundamentalistisch- textlinearen Adventisten der letzten Tage, dort die symbolistischen Reformierten.

Leute, die „Der englische Patient“, den Booker-prize-Roman von Michael Ondaatje, noch nicht gelesen haben, sind also im Vorteil, wenn sie die Verfilmung durch Anthony Minghella („Mr. Wonderful“) sehen. Sie müssen sich nicht über eine möglicherweise unwürdige Adaption ärgern und haben außerdem noch etwas, worauf sie gespannt sein können – das Buch. Vielleicht kommt da einiges anders als bei Anthony Minghella.

Sein „Der englische Patient“ ist ein üppiges Melodram, das schon vor vierzig Jahren hätte gedreht sein können. Es ist nicht das schlechteste Melodram, um mal zu untertreiben, immerhin für zwölf Oscars nominiert. Bei der Anzahl der Nominierungen hat Hollywood allerdings übertrieben.

Liegt es an Bosnien, Tschetschenien, Kuwait, daß der Krieg für den Film so interessant geworden ist? Der Krieg ist nicht schön in Minghellas Film; anders als in „Love And War“ bietet er keinerlei Fluchträume. Laszlo de Almasy (Ralph Fiennes), ein Forschungsreisender, hat Katherine und Geoffrey Clifton kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf einer Expedition in die ägyptische Sahara kennengelernt.

Jahre später, kurz vor der Kapitulation der Faschisten, sieht man ihn mit schweren Verbrennungen in einem verlassenen Kloster in der Toskana, betreut von der Krankenschwester Hana (Juliette Binoche). Ein Nazi-Überlebender (ruhelos: Willem Dafoe) versucht herauszufinden, wer der „englische Patient“, der vorgibt, sich an nichts zu erinnern, wirklich ist.

Der eine – Almasy – hat seinen Namen vergessen, der andere – Caravaggio – scheint seinen erfunden zu haben. „Der englische Patient“ kleidet die Fragwürdigkeit politischer Zuschreibungen in eine jener Liebesgeschichten, in denen private Loyalität politischen Verrat nach sich ziehen muß. Ob Ungar, Brite, Italiener oder Inder, Liebe oder Haß – dem Krieg ist das gleichgültig.

Was Menschen an Spuren hinterlassen, ob nun Flugzeugtrümmer oder Kunstwerke, frißt die Wüste mit der ihr eigenen apathischen Grausamkeit auf. Minghello erzählt in der Rückblende: Almasy wollte sich mit der Leiche seiner großen Liebe Katherine im Flugzeug zu Tode stürzen, hat jedoch überlebt – bandagiert wie die Mumien, die er einst studierte.

Die Bilder: extrem rein und geometrisch

Natürlich soll das alles recht viel bedeuten: Archäologie der Gefühle via Geschichte, die Kreatur Mensch. Flugzeuge, die wie Schmetterlinge am Wüstenhimmel schweben, und eine Zivilisation, die immer wieder in die Barbarei, in Leidenschaft und Krieg, zurückfällt. Die Hitze der Wüste und Körper, die Kälte der Wüstenhöhlen, des Krieges und des Verrats, der dann doch keiner bleibt.

Minghellas Film verkettet vier Menschen etwas auf Rosamunde- Pilcher-Art an der großen Zampano-Kreuzung. So unverbindlich und tödlich Politik und Geschichte sind, von so sanfter Melancholie ist die Liebe – das eine bleibt der Todfeind des anderen. Auch Hana (wunderbar: die Binoche), ihrem englischen Patienten längst verfallen, weiß nichts von den Minen im schiefen Klavier des Klosters.

Die Bilder zu diesem neoexistentialistischen Trauerspiel (Kamera: John Seale) sind horizontal, vor allem aber extrem rein und geometrisch, die Darsteller außergewöhnlich – Ralph Fiennes als Schattenmensch, dessen Grenzen schon verletzt, wer ihn nur bemerkt, allen voran. Auch wer schon viele solche Geschichten gesehen hat, wird am Ende das Kino wohl feuchten Auges verlassen.

„Der englische Patient“. USA 1996. 162 Minuten. Regie: Anthony Minghella. Mit Ralph Fiennes, Juliette Binoche, Willem Dafoe, Kristin Scott Thomas, Colin Flirth, Jürgen Prochnow, Naveen Andrews u.a.

Kinostart: 27. Februar