Perus Militär berechnet schon die Toten

■ Die Verhandlungen stocken. Angeblicher Erstürmungsplan bekanntgeworden

Lima (taz) – Die peruanische Kongreßabgeordnete Sally Dias ist sich für nichts zu schade. Während des Grenzkrieges zwischen Peru und Ecuador besuchte sie die peruanischen Truppen in Reizwäsche. Am Valentinstag marschierte sie mit ihrem Ehemann als Trauzeugin für das jüngste Paar einer Massenhochzeit auf: 72 Paare ließen sich trauen, genauso viele, wie es Geiseln in der Residenz des japanischen Botschafters in Peru gibt – auch wenn gemunkelt wird, es sei gemogelt worden, um auf die Zahl zu kommen.

Während die einen heiraten, treffen sich die anderen zu Gesprächen. Am Wochenende trafen der Regierungsbeauftragte für die Geiselnahme, der Erziehungsminister Domingo Palermo, und Rolly Rojas, genannt „El Arabe“, der Araber, als Vertreter der „Revolutionären Bewegung Túpac Amaru“ (MRTA) zusammen.

Die Verhandlungen standen von Beginn an unter schlechten Vorzeichen. Der peruanische Präsident Alberto Fujimori blieb demonstrativ außer Landes und setzte ungestört seinen Staatsbesuch in Großbritannien fort. Auch die Möglichkeit einer militärischen Lösung wurde am Tag vor den Gesprächen wieder diskutiert. In einem solchen Fall, tönte Fujimori, werde er sich „direkt mit der japanischen Regierung koordinieren“. In den Häusern um die Residenz herum haben wieder Scharfschützen ihre Posten bezogen. Guerillachef Cerpa ließ Fujimori wissen, daß er und seine Leute auf eine friedliche wie auch auf eine militärische Lösung vorbereitet seien.

Am Sonntag veröffentlichte die Tageszeitung La República Details eines angeblichen Interventionsplanes der Regierung zur Erstürmung der Residenz. In einer Neumondnacht, so der laut República vom militärischen Geheimdienst DINTE und der Kommandoschule des Heeres ausgearbeitete Plan, solle die Residenz innerhalb von sieben Minuten vom Boden und Hubschrauber aus gestürmt werden. Die Aktion werde von Spezialeinheiten des peruanischen Heeres gemeinsam mit Truppen des in Panama stationierten US- Südkommandos durchgeführt. Begleitet werde die Aktion von einer Stromabschaltung in ganz Lima. Dabei, so heißt es weiter, werde mit zahlreichen Todesopfern gerechnet: 75 Prozent der Geiseln, zwanzig Mitglieder des Stürmerkommandos und fast alle MRTA- Guerilleros würden dabei ums Leben kommen. So laute die Empfehlung an Präsident Fujimori denn auch, eine friedliche Lösung zu bevorzugen.

Von den Gesprächen allerdings ist bislang wenig Fortschritt zu vermelden – durchgesickert ist nur, daß noch immer über die Tagesordnung diskutiert wird. Auch wann es mit den Gesprächen weitergeht, steht noch nicht fest. Bischof Cipriani sagte dazu lediglich, „so bald wie möglich“.

Mit Verhandlungsbeginn wurden sämtliche Kamerateams und Fotografen aus der Straße verbannt, die den besten Blick auf die Residenz des japanischen Botschafters bietet. Schien es vor den Verhandlungen, daß das Medieninteresse stark abgenommen habe, so versuchten sich während der Verhandlungen Kamerateams und Fotografen gegenseitig wieder auf der nach oben offenen Leiterskala zu übertreffen.

An den Straßensperren der Zufahrtsstraßen zu der Residenz des japanischen Botschafters beschnüffeln Spürhunde die gestoppten Autos. „Sitz!“ und „Such!“ rufen die Hundeführer auf deutsch – die Schäferhunde und Rottweiler wurden auf deutsch dressiert.

Die BewohnerInnen der Hochhäuser mit Blick auf die Residenz machen derzeit das Geschäft ihres Lebens, indem sie Fensterplätze an Fotografen und Kamerateams vermieten. Nachts sind auf Anweisung der Polizei alle Lichter im Fahrstuhl und Treppenhaus des Gebäudes ausgeschaltet. Dann lungern die Beamten der Spezialeinheiten mit ihren Spezialgewehren auf der Treppe herum. Da ihre Uniform ganz in Schwarz gehalten ist, sind sie in der Dunkelheit nicht zu sehen. Da allerdings die Gehälter der Polizisten in Peru miserabel sind, wohnen sie meist in Stadtvierteln, in denen es nur einmal in der Woche Wasser gibt – so können die Anwohner riechen, daß irgendwo in der Dunkelheit schwerbewaffnete Polizisten stecken.

Aber die Anwohner nervt auch noch eine andere Plage: Pünktlich ab morgens um sieben Uhr beschallt die Polizei die Residenz mit voller Lautstärke mit nationalistischer peruanischer Volksmusik, seit die MRTA ihrerseits anfing, den Tag mit dem Absingen ihrer Revolutionshymne zu beginnen – um im Anschluß daran per Sprechchor an das Ziel der Aktion zu erinnern: „Was ist der Grund für die Besetzung der Residenz? Die Befreiung der gefangenen Genossen!“ Ingo Malcher