Seit Jahresbeginn gilt für alle Arbeiter im deutschen Baugewerbe der Mindestlohn. Er soll verhindern, daß ausländische Bauarbeiter zu Dumpinglöhnen schuften und deutsche Kollegen arbeitslos machen. Aber die Kontrolltrupps der Arbeitsämter k

Seit Jahresbeginn gilt für alle Arbeiter im deutschen Baugewerbe der Mindestlohn. Er soll verhindern, daß ausländische Bauarbeiter zu Dumpinglöhnen schuften und deutsche Kollegen arbeitslos machen. Aber die Kontrolltrupps der Arbeitsämter können der Regelung kaum Geltung verschaffen. Denn nicht wenige Iren, Portugiesen oder Russen haben einen Vertrag – wenn auch mit zweifelhaften Konditionen. Um die größten Baustellen machen die Fahnder ohnehin einen Bogen.

Lohn nur auf dem Papier

Vier Kontrolltrupps sollen sich von hinten anschleichen, acht Gruppen mit jeweils sechs Leuten werden von vorne über die Hauptstraße anrücken. „Die Anfahrt muß schnell und reibungslos klappen, damit sie uns nicht zu früh bemerken“, mahnt der Einsatzleiter. Dann versorgt er die 80 KontrolleurInnen des Arbeitsamtes Berlin-Brandenburg mit Skizzen der beiden Baustellen, die heute morgen überprüft werden sollen. Um 7.00 Uhr rollt eine lange Kolonne von Kleinbussen aus der Tiefgarage im Berliner Bezirk Tempelhof.

Der „Außendienst Bau“, eine Sondertruppe des Arbeitsamtes, fährt einer schwierigen Aufgabe entgegen. Sie soll überprüfen, ob die Bauarbeiter der Hauptstadt tatsächlich den Mindestlohn bekommen. Weil dieser seit dem 1. Januar an alle in- und ausländischen Beschäftigten des Bauhauptgewerbes ausgezahlt werden muß, finden in diesen Tagen in der gesamten Bundesrepublik Kontrollen statt.

Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber im vergangenen Jahr darauf, daß alle Bauarbeiter – egal, ob deutscher, portugiesischer, russischer oder anderer Nationalität – einen Rechtsanspruch auf 15,64 brutto pro Stunde in den östlichen Bundesländern und 17 Mark im Westen haben. Der Tarifvertrag über den Mindestlohn soll verhindern, daß Baufirmen zumeist ausländische Bauarbeiter für Niedriglöhne beschäftigen und damit die deutschen Kollegen arbeitslos machen.

Mit quietschenden Reifen stoppen die Busse vor dem Zaun. 20 Leute sprinten los und umstellen den Bauplatz. Die KontrolleurInnen mit ihren roten Plastikhelmen hetzen hinunter in die Baugrube. Jede/r greift sich einen Bauarbeiter. Name, Paß, Nationalität, Arbeitgeber? Eintrag in den Fragebogen. Wieviel der portugiesische Eisenbieger aus einem Dorf südlich von Lissabon verdiene, will die Kontrolleurin wissen. Als Antwort zieht er einen Arbeitsvertrag aus der Tasche. Die Stirn der Frau vom Arbeitsamt legt sich in Falten.

Name? Nationalität? Paß? Arbeitgeber?

1.000 Mark, ist dort zu lesen, bekomme der Malocher pro Monat in bar ausgezahlt. Die restlichen 2.000 Mark, die zum Mindestlohn fehlen, sollen später zu Hause in portugiesischer Währung überwiesen werden – aber erst, nachdem das Arbeitsverhältnis am 31.8. 1997 endet. So hat es der portugiesische Arbeitgeber, Subunternehmer eines deutschen Baukonzerns, in den Vertrag diktiert. Und der Arbeiter hat unterschrieben.

„In solchen Fällen können wir meist nichts machen“, sagt der Einsatzleiter. Offiziell ist dem Tarifvertrag über den Mindestlohn Genüge getan, doch ob der Bauarbeiter den Lohn tatsächlich erhält, steht in den Sternen. Auch Klaus Pankau, Chef der Berliner Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt, vermutet mancherlei „Betrügereien“ mit geduldigem Papier. Die Bauarbeiter tun gut daran, den Mund zu halten, wenn sie ihren Job behalten wollen.

Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg sieht ebensowenig Chancen, den Sozialstandard durchzusetzen. Gabriele Eustrup, Referentin für illegale Beschäftigung: „Wir haben keine Möglichkeit, die tatsächliche Zahlung in Portugal zu überprüfen.“ Die ausländischen Baufirmen sind zwar verpflichtet, den Arbeitsämtern die Lohnabrechnungen als Kopie vorzulegen. Anderenfalls riskieren sie ein Ordnungsgeld von 30.000 Mark. Doch ob das Gehalt tatsächlich auf dem Konto des portugiesischen Arbeiters ankommt, läßt sich aus den Lohnlisten nicht schließen.

Diese Lücke erkennt gegenwärtig auch Klaus-Dieter Fleck, beim Berliner Arbeitsamt zuständig für den Außendienst Bau. Für die Zukunft jedoch ist er optimistisch: „Ich werde die Zahlungen überprüfen.“ Die in Berlin und Brandenburg arbeitenden Firmen will Fleck verpflichten, wenn nötig jeden einzelnen Überweisungsbeleg von den Geldinstituten in Portugal, Rußland oder Irland vorzulegen. „Das liegt in meiner Kompetenz“, so Abteilungsleiter Fleck. Gleich darauf droht er mit der Geldbuße von bis zu 100.000 Mark, die Unternehmen im Falle der Mißachtung des Mindestlohnes berappen müßten.

Auch die abstrusen Arbeitsverträge mit ihrer Splittung der Lohnzahlung in Kleckerbeträge heute und den Löwenanteil am Sanktnimmerleinstag werde man in den Griff bekommen, meint Klaus- Dieter Fleck. Heute zwar seien diese Machwerke rechtlich kaum angreifbar. Denn die Arbeitsämter hierzulande wüßten einfach zuwenig über die arbeitsrechtlichen Zustände in anderen Ländern. Aber die Bundesanstalt für Arbeit stelle gerade eine juristische Handreichung für die KontrolleurInnen zusammen. Halte man erst diese Fibel in Händen, könne man den Lohndrückern endgültig das Handwerk legen, hofft der Mann vom Arbeitsamt.

„Wenn wir ankommen, ist keiner mehr da“

Trotzdem könnte die Mindestlohnregelung auf absehbare Zeit ein Papiertiger bleiben. Gewerkschafter Klaus Pankau verweist auf die Überlastung der Kontrolltruppen. Insgesamt sind nur 2.500 MitarbeiterInnen der Arbeitsämter auf den Baustellen der gesamten Bundesrepublik unterwegs. Ein Tropfen auf den heißen Stein; schließlich stehen den Prüfkommandos in der sommerlichen Hochsaison Tausende von Firmen mit bis zu 400.000 ausländischen Bauarbeitern gegenüber. Während das Arbeitsamt in Berlin personell vergleichsweise gut ausgestattet ist, gehen die Kontrollen vielerorts über vereinzelte Stichproben nicht hinaus.

Von allen Problemen abgesehen, ist Werner Köhler, Bundessprecher der IG Bau, trotzdem vom Sinn des Mindestlohnes überzeugt. Wichtig sei, daß eine rechtliche Basis geschaffen wurde, auf die sich die Arbeiter beziehen könnten. Wenn etwa ein portugiesischer Malocher gegen einen zu niedrigen Lohn klagen wolle, könne er das jetzt vor einem deutschen Gericht tun. Der Gewerkschafter hofft, daß die Bauarbeiter dort ihre Rechte selbst durchsetzen, wo die Arbeitsämter ihnen nicht helfen können.

An diesem Morgen hat der Außendienst Bau zwei kleinere Bauvorhaben genauer unter die Lupe genommen. Auf dem Rückweg rollt die Kolonne der Kleinbusse vorbei an dem riesigen Rohbau der zukünftigen Berliner Zentrale der Allianz-Versicherung. Dort hat man sich bisher noch nicht hineingetraut. Und auch Daimler-Benz und Sony auf dem Potsdamer Platz haben bislang keinen Besuch von den KontrolleurInnen bekommen. „Solche großen Areale kann man nicht absperren“, heißt es. „Dafür bräuchte man 20 Hundertschaften der Polizei.“ Außerdem bliebe der Aufmarsch Dutzender Busse den Kranführern nicht verborgen, die aus luftiger Höhe einen guten Überblick auf die umliegenden Straßen hätten. „Wenn wir ankommen, ist keiner mehr da“, fürchten die Leute vom Arbeitsamt. In Zukunft will man aber wenigstens einige Teilabschnitte der gigantischen Baulöcher und Hochhäuser inspizieren. Hannes Koch, Berlin