Drogenpolitik geht über 1.712 Leichen

■ Die Zahl der Drogentoten steigt: Erstmals seit 1991 verzeichnet der Bundesdrogenbeauftragte mehr Suchtopfer als im Vorjahr. Von Legalisierung will er nichts wissen. Statt dessen setzt er auf striktes Verbot und Zwangstherapie

Berlin/Bonn (taz) – Die Drogenpolitik der Bundesregierung ist teuer: 1.712 Menschen bezahlten vergangenes Jahr ihre Sucht mit dem Leben. Das sind fast zehn Prozent mehr Drogentote als 1995. Aber kein Grund zur Selbstkritik für den Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Eduard Lintner (CSU). In seiner „Rauschgiftbilanz 1996“, die gestern in Bonn vorgestellt wurde, warnte er vor einer „zunehmenden Sorglosigkeit“ im Umgang mit illegalen Rauschmitteln. Lintner kündigte an, die Bundesregierung werde sich „auch weiterhin jeder Forderung nach einer Freigabe illegaler Drogen widersetzen“.

898 Kilo Heroin kassierten bundesdeutsche Polizisten und Zöllner 1996, im Vorjahr waren es 35 Kilo mehr. Auch bei Haschisch und Marihuana gingen die Erfolge der Spürnasen zurück. Kein Grund zur Entwarnung, sagt der Drogenbeauftragte. „Alarmierend“ sei vor allem die Zunahme synthetischer Drogen. Während der Konsum von Kokain zurückgehe, würden Kids immer öfter zu Ecstasy greifen: 43,5 Prozent der Erstkonsumenten steigen mit den bunten Pillen ein, ein Zuwachs von 80 Prozent. Die „Verschärfung der Situation“ sieht Lintner durch 20 „Ecstasy-Tote“ bestätigt.

„Eine völlig undifferenzierte Darstellung“, meint Monika Knoche, gesundheitspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen. „Lintner inszeniert ein riesiges Bedrohungsszenario, mit dem wachsende Kreise Jugendlicher kriminalisiert werden.“ Wer unter welchen Umständen gestorben sei und welche Rolle Drogen dabei spielten, bleibe ungeklärt. „Wenn einer nach der Disko betrunken heimfährt und verunglückt, gilt er als Ecstasy-Toter, sobald der Stoff im Blut nachweisbar ist. Den wachsenden Alkoholkonsum bei Jugendlichen klammert man aus.“

Die erschreckende Zunahme von Herointoten im letzten Jahr sieht Knoche als „fatale Folge der kriminalisierenden Drogenpolitik der Regierung“. Wer verhindere, daß die Qualität der Pillen und Pülverchen überprüft werde, müsse sich nicht wundern, wenn – wie kürzlich in Bremen – gefährlicher, weil zu reiner Stoff auf den Markt komme. Lebenswichtig für Suchtkranke seien niedrigschwellige Hilfsangebote und eine Politik, die eine Stigmatisierung verhindere. „Wer nach dem Entzug wieder in der illegalen Szene landet, ist hochgradig lebensbedroht“, weiß Knoche und verweist auf die wachsende Zahl von Bundesländern, wo „Lintners Politik überhaupt keine Akzeptanz mehr“ habe.

Stört Bonns Drogenbeauftragten nicht. „Geradezu abenteuerlich“ findet er alle Legalisierungsversuche und geißelt die Niederlande als „Haupttransitland für den Einfuhrschmuggel“. Chronisch Abhängige will er „auf der Grundlage eines gerichtlichen Beschlusses durch intensive fürsorgerische Hilfen, unbeeinflußt von Drogen, für eine Therapie motivieren“. Zu deutsch: Suchtkranke einweisen und zwangstherapieren. Constanze v. Bullion