Sag es in Ebonics

Steig in den Bus – du mußt dein Leben ändern! „Get on the Bus“, Spike Lees Film über den Million-Man-March, im Wettbewerb  ■ Von Mariam Niroumand

Großer Anfang ist immer. Hatten sich der Pantherführer und Betty Shabbaz in Spike Lees „Malcolm X“ noch im Museum of Natural History direkt unter einem Dinosaurierskelett getroffen (mit uns begann die Menscheit), trug in „Crooklyn“ noch ein kleines Mädchen den Schlüssel zur schwarzen Zukunft, beginnt „Get on the Bus“ mit der Genesis, gebetet von Jeremiah. Auch der Auszug aus Ägypten wird bemüht: Noch während die Titel einlaufen, sieht man rostige Ketten auf schwarzer Haut. Du mußt dein Leben ändern!

Hier allerdings war es ja auch so gedacht: Im Million-Man-March vom 16. Oktober 1995 fand Spike Lee ein kongeniales Unternehmen, vom selben Impuls befördert wie seine Filme, nur vielleicht alles in allem etwas zugeknöpfter und ohne Mädchen. Der Reverend Louis Farrakhan hatte das Script, wie Spike Lee in der Pressekonferenz erklärte, vorher zugeschickt bekommen, es aber vorgezogen, nicht darauf zu reagieren. Schon möglich, daß die beiden unter Einheit etwas sehr Verschiedenes verstehen.

12 Leute: Jury-Stärke, Apostel-Stärke

Da Lee auch der pompöse Sound nicht so richtig gegeben ist, hat er es beim Vorspiel belassen: 72 Stunden bevor die Reden gehalten wurden (man sieht nur die erste, die von der hauseigenen Dichterin Maya Angelou), besteigt eine Gruppe von 12 Leuten (Jury- Stärke, Apostel-Stärke) vor der AME Kirche in South Central Los Angeles einen gecharterten Bus mit dem programmatischen Namen „Spotted Owl“.

Und gefleckte Eulen sind sie. Geradezu als habe Lee eine Anthologie aus allen seinen Filmen herstellen wollen, kreuzen sich in den ohnehin komischen Vögeln auch noch die verschiedensten Nachbarschaften: Jeremiah (Schauspieler-Veteran Ossi Davis) macht eigentlich den Moses, entpuppt sich dann aber als enttäuschter Onkel Tom, der schließlich von den asiatischen Geschäftsübernehmern dereguliert wurde, obwohl er extra nicht an dem Marsch von 1963 teilgenommen hatte. Er hat aber Bongos dabei. Vater und Sohn, Evan senior und Evan junior, sind aneinandergekettet, und Vaters Rap lautet: „My name is Evan / Evan senior / they got my son / for misdemeanor!“

Zwei Schwule sind dabei, der eine „out“, der andere nicht; ein Polizist mit heller Haut („bist du – Mulatte?!?“), ein Schauspieler, der praktisch kaum noch erklären muß, daß er so schön ist, die Menschen werden auch so nach seinem nächsten Film nur noch fragen „Denzel who?“ Ein zum Muslim konvertierter Gangsta, dem die Finger an beiden Händen nicht ausreichen, die hinter ihm liegenden Leichen zu zählen (der Polizist wird ihn dafür, das hat er versprochen, gleich nach der Rückkehr vom Marsch verhaften).

Ohne zu zögern beten sie zu Gott

Angemaßte, abgelehnte und wohlüberlegt neukonstruierte Vaterschaften sind ein permanentes Thema des Films und nicht erst, wenn alle zu Gott beten, was sie ohne zu zögern tun. Aneinandergekettet, im Stich gelassen, erschossen – inzwischen gehört es schon zur Straßensoziologie, daß die Ghettos sich auch deshalb ständig selbst perpetuieren, weil die abwesenden Väter einen ziellosen Kinderhaß hinter sich herziehen. Auf der Pressekonferenz konnte man es hier und da unbehaglich munkeln hören: Was soll das, immer diese Aufforderungsfilme, mach das Richtige, steig in den Bus, sei ein guter Vater, sei ein guter Ehemann, sei ein Brother.

Es ist aber Lees Art, aus der Exklusion der Innenstadtghettos aus der sorgenvoll zusehenden Restgesellschaft eine Mini-Tugend zu machen. Hey, sag es in Ebonics: Wir sind uns selbst genug. Der Rap des Polizisten, Gary, lautet: „My name is Gary / I'm with Kelley / she's got the marbles / I've got the Jelley.“

„Get on the Bus – Auf engstem Raum“. USA 1996. 120 Min. Regie: Spike Lee. Mit: Richard Belzer, DeAundre Bonds, Andre Braugher u.a.

Heute: 9.30 Uhr Royal, 20 Uhr International, 23.30 Uhr Urania