: Made in Hongkong
■ Die ganze Welt ist voller Plastikblumen. Das noch titellose neue Stück von Pina Bausch hatte in Wuppertal Premiere
Eigentlich hätten es Paeonien sein sollen, Hongkongblumen. Die aber sind in Deutschland nicht in so großen Mengen zu bekommen, daß sie für ein ganzes Bühnenbild langen würden. So sind es denn rote Plastikblumen geworden, die, von Bühnenbildner Peter Pabst zu einem mehr als drei Meter hohen Berg aufgeschichtet, für das neue Stück von Pina Bausch die Kulisse abgeben – eine Bühne made in Hongkong. Mehrere Wochen haben Pina Bausch und ihr Ensemble im vergangenen Jahr in der bald wieder chinesischen Metropole verbracht, und erneut entstand, wie zuvor schon in den USA, in Palermo, Madrid und Rom, mit dortigen Institutionen ein zunächst noch titelloses neues Stück. Deutlich ist dem Ensemble dabei anzumerken, daß es sich nicht der Illusion hingibt, nach einem recht kurzen Aufenthalt die Stadt begriffen zu haben.
Liebevoll ironisch schreiben die ProtagonistInnen auf der Bühne jene Klischees weiter, die der Besucher aus dem Westen im Fernen Osten bestätigt zu finden scheint: Es wimmelt von Fahrrädern und Koffern und vor allem von Menschen. „Good morning. Thank you“, haucht Helene Pikon schon in der Eingangsszene ins Mikrofon, um damit Tempo und Thema des Stückes vorzugeben.
Ruhige Augenblicke, wie sie vor zwei Jahren „Danzón“ in seltener Eindringlichkeit zeigte, gibt es im neuen, mit Standing ovations gefeierten Stück fast gar nicht. Dabei hätte die von Matthias Burkert und Andreas Eisenschneider zusammengestellte Musik aus chinesischen Liedern und portugiesischen Fados, aus iranischer Gitarrenmusik und Liebesliedern aus dem 13. und 16. Jahrhundert dafür durchaus Raum gelassen. Statt dessen schleppt Jan Minarik immer wieder sein Fahrrad und Gepäckstücke über eine in luftiger Höhe quer über die Bühne gespannte Hängebrücke, säuselt Helena Pikon beglückt: „Ich kenne die Melodie, sie ist so schön“ ins Mikrofon, als sie eine chinesische Fernsehmelodie wiedererkennt, zwingen Kyomi Ichida und Ny Young Kim als ständig lächelnde menschliche Sicherheitsschleuse den Russen Andrei Berezine, sich bis auf die Unterhose zu entblößen. Das Sisyphos-Motiv kehrt ständig wieder: Immer wieder versuchen die Ensemblemitglieder, mit Anlauf den Blumenberg zu besteigen. Gelingen wird es schließlich vor allem immer wieder Jan Minarik – spielerisch mit einem Federball aus langen Pfauenfedern oder ironisch auf die Freizeitindustrie anspielend, indem er mit Skiern den Blumenabhang hinunterfährt.
Durchbrochen werden die fernöstlichen Postkartenidyllen immer wieder von Mechthild Großmann. Während das übrige Ensemble eigene Kinderfotos ans Publikum verteilt, belästigt sie ständig die erste Reihe mit Geschichten über Männer, die sie lieben, davon aber noch nichts wissen, oder als Platzanweiserin – alles nur Theater.
Warum nur erwartet inzwischen alle Welt, Pina Bausch könne die Welt erklären? Geradezu enttäuscht stellten verschiedene KritikerInnen nach der Premiere des Hongkong-Stückes fest, über das Miteinander der Menschen sage sie diesmal zuwenig. Die Verhandlungen über die Zukunft des Wuppertaler Tanztheaters, das sich nach der Fusion der Wuppertaler mit den Gelsenkirchener Bühnen zum „Schillertheater NRW“ eingeengt fühlt, wurden dafür als ein möglicher Grund, die Pina Bausch sonst heilige, diesmal aber verschobene Premiere des neuen Stückes als äußeres Zeichen gewertet. Tatsächlich rechtfertigt das neue Stück diese Kaffeesatzleserei in keiner Weise. Im Gegenteil: Es scheint nach der Zeit der großen einsamen Soli mit inzwischen für das Wuppertaler Tanztheater schon fast klassischen Ensembleszenen zurück zum Miteinander finden zu wollen. In einer Gondel sitzend, zeigt Jan Minarik in der Schlußszene des Stückes allerdings noch einmal lächelnd, daß auch das Theater wie die Mattscheibe nur bestenfalls einen Weltausschnitt, nicht aber die Wirklichkeit wiedergeben kann. Die ganze Welt ist voller Plastikblumen. Stefan Koldehoff
Ein Stück von Pina Bausch. Wuppertal. Termine und Kartenbestellungen unter Telefon: 0202-563 44 44
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