Wenn der Vater...

■ Kampnagel-Produktion „Väter/Söhne“ im Jungen Theater / Zwei Generationen prallen aufeinander

In der Vergangenheit herumzuwühlen oder gar Seelen-Striptease zu betreiben ist nicht Julians oder Sebastians Sache. Dabei haben die beiden Männer unter 30 augenscheinlich ein Problem zu lösen – ein Vaterproblem sozusagen. Aber die Therapie-Couch sollte es irgendwie nicht sein. Dann schon eher ein Plausch mit den furchteinflößenden Vätern, um gemeinsam etwas ganz Außergewöhnliches zu wagen. Das theatrale Ergebnis geht heute abend im Jungen Theater an den Start.

„Väter/Söhne“ heißt die Kampnagelproduktion, die auf dem „Junge Hunde Festival 96“ erstmalig in Hamburg Premiere feierte. Jetzt sind die beiden „jungen Hunde“ Julian Richter (Theaterfreak/ 27 Jahre) und Sebastian Rudolph (Schauspieler/ 28 Jahre) in Bremen zu Gast. Seit zwei Tagen sind sie in der Stadt und haben neben ihrem Gepäck auch ihre beiden reisewütigen Väter mitgebracht: Christian Richter, den 52 Jahre alten pensionierte Gesamtschullehrer und Niels-Peter Rudolph, ein 56 Jahre alter Regisseur und zudem ehemaliger Intendant (Hamburger Schauspielhaus).

Zwei ganz normale Väter und Söhne – mit völlig unterschiedlichen Wünschen, Sehnsüchten und Begehrlichkeiten – prallen da aufeinander. Viel Konfliktstoff also, der sich in der Vierertruppe bereits beim ganz privaten Kaffeeplausch in einer Bremer Kneipe Luft macht. Da sitzt Julian, der Theater-Freak am Tisch, der von einem „völlig anderen Theater“ schwärmt. Denn Julian ist ein bekennender Feind des Staatstheaters: „Das ist doch bloß ein Angstgefüge, in dem Menschen nicht das machen, was sie sich wirklich wünschen,“ sagt er und schaut den bisher schweigsamen Staatstheater-Regisseur Niels-Peter Rudolph an. Doch der kontert sogleich: „Wie kannst du es wagen, zu sagen, daß mich nicht interessiert, was ich am Theater mache. Es interessiert mich.“

Da wird der Kaffeeplausch am Nachmittag selbst zum Teil des Vater/Sohn-Stückes – eines Stückes, das Väter mit den Sehnsüchten ihrer Söhne auf der Bühne konfrontiert und die Kampfhähne schließlich einander näherbringt. Doch nicht auf einer normalen Bühne, sondern in einem seltsamen Labyrinth für 32 ZuschauerInnen. Das ganze Theater ist Bühnenraum und das Publikum ein Teil davon – mit verbundenen Augen und auf beweglichen Podien wird es durch das Vater/Sohn-Spektakel gekarrt: Eine interaktive Reise in die kindliche Vergangenheit und problembeladene Gegenwart.

Gegen die Etiketten „Mitspieltheater“ oder „Psychodrama“ wehren sich die beiden Söhne strikt. Bilder statt vieler Worte wollen sie zeigen und an die Stelle der Erklärung die pure Beobachtung setzen – um damit Aha-Effekte im Publikum zu erreichen. Wenn Vater Christian auf der Bühne minutenlang in einer kleinen Kiste sitzt, dann weichen sogar eiskalte Siemens-Manager auf, erzählt Sohn Sebastian: „Die haben dann gesagt: Ich lebe auch in so einer Kiste, in genau so einer Kiste.“ Völlig „verblüffend“ findet auch Vater Niels-Peter Rudolph diese Reaktionen im Publikum. „Väter und Söhne schauen sich plötzlich an, erkennen sich. Menschen, die bisher immer eigentümlich distanziert zueinander waren.“

Da schwingt Idealismus mit und der Glaube an eine gute und bessere Welt der Söhne und Väter. Julian, Sebastian und ihre Väter haben sich davon schon ein kleines Stück erobert: Die vier krempeln nach dem Kaffeeplausch gemeinsam die Ärmel hoch, um die Bühneaufzubauen. Sie gehen vorbei an einem Sterbebett, das bereits im Theaterfoyer steht. „Erst da haben viele Söhne ihren sterbenden Vätern verziehen“, sagt Sebastian. Katja Ubben

Öffentliche Probe heute um 20.30 Uhr. Aufführungen bis 22.2., 20.30 Uhr. Am 23.2. um 19 Uhr