Instinkt auf Eis gelegt

■ Christian Springer vom FC St. Pauli: Bundesligakicker zwischen Trainer-Taktik und ungehemmter Spielfreude

Es gab Szenen im Fußballer-Leben von Christian Springer, da hat er genau das gemacht, was er schon immer gut konnte. Ganz besonders im vorletzten Lokalderby gegen den HSV. Damals, im Mai vorigen Jahres, spielte der 25jährige auf der linken Außenbahn des FC St. Pauli seinen direkten Widersacher Andreas Fischer wirklich schwindlig. Überraschende, instinktive Windungen und Wendungen, die den Gegner erst verwirren, dann langsam wütend machen und abschließend entnerven.

Dann gibt es Szenen von und mit Christian Springer, und zwar immer mehr, in denen er die taktischen Anweisungen seines Trainers Uli Maslo genauso umsetzt, wie es sich der Coach immer wünscht. „Ich soll Tore vorbereiten, Tore schießen und defensiv arbeiten.“ In der Regel ist der letzte Punkt der Maßstab.

Körperlich robuster ist Springer in den zwei Jahren geworden, seit er von seinem Heimatverein Jahn Forchheim zum FC St. Pauli gewechselt ist. Seine technischen Fähigkeiten, die ihn in der Oberliga Bayern zu einem vielbeachteten Mittelfeldregisseur gemacht hatten, kommen dafür seltener zum Vorschein. Springer erfüllt seine Aufgaben – bundesligakompatibel. „Drei Jahre braucht man, um eine Mannschaft richtig zu formen“, weiß der Fußballehrer Maslo. Springer kickt nun in der dritten Saison am Millerntor.

„Wenn man neu in eine Mannschaft hineinkommt, muß man sich hocharbeiten“, sagt Springer, „das ist wie in jedem anderen Beruf auch.“ Doch im Fußball sei das „eine komplizierte Sache“. Auf der einen Seite müsse man sich entwickeln, meint Springer, dürfe dabei jedoch nicht zu selbstbewußt werden: „Sonst denken alle, hier dreht mal wieder ein junger Spieler durch.“

Springer weiß, wovon er spricht. Bis vor einem Jahr noch verleideten ihm regelmäßig einige Schreihälse von der Haupttribüne des Wilhelm-Koch-Stadions eine Halbzeit. Daß er nicht die Körperkontaktquote seines Vorgängers Bernd Hollerbach erbrachte, wurde dem Franken als mangelnder Einsatz angekreidet. „Manchmal hat der Bernd einfach nur sinnlos seinen Gegner umgegrätscht, das muß ich ja nicht übernehmen“, entgegnet Springer.

Und auch die Konflikte mit Trainer Uli Maslo reduzieren sich bei näherer Betrachtung auf die Frage, ob Springer im Spiel ausreichend kämpfe. Für den 1,83-Meter-Mann ein Mißverständnis: „Ich bin eher schlaksig. Wenn Thomas Sobotzik den Ball führt, sieht das immer engagiert aus. Bei mir wirkt es manchmal ungewollt arrogant.“ Diese Einsicht hat sich Maslo bislang noch nicht zueigen machen können. Sogar bei völlig bedeutungslosen Hallenturnieren hatte sich Springer vorwerfen lassen müssen, daß sich ein Spieler des FC St. Pauli so nicht darstellen dürfe.

Solche Einwürfe hat Springer früher sehr persönlich genommen. „Da habe ich immer gedacht, beim nächsten Mal sitze ich wieder auf der Bank, weil ich alles falsch gemacht habe.“ Jetzt hilft der Status des Stammspielers und die Erfahrung aus über 40 Bundesligaspielen, schlechtere Spiele wie das vom vergangenen Wochenende bei den Bayern stärker auf die Gründe als auf die Konsequenzen hin zu untersuchen. Auch die Beziehung zu Maslo hat sich dank der antrainierten Gelassenheit gebessert: „Die Kommunikation klappt jetzt zwischen uns.“

Springers Umfeld in Hamburg ist fast ausschließlich durch Fußball bestimmt. „Ich wollte mir hier keinen Freundeskreis aufbauen, den habe ich zuhause.“ Die Bezugspersonen in der Stadt sind neben der Freundin die Mitspieler. „Ohne unsere starke Gruppenbildung hätten wir den Klassenerhalt nicht geschafft, das Verhältnis der Spieler untereinander ist optimal hier.“

Springer, der auch nächste Serie noch beim FC spielen wird, sofern der Verein die einseitige Option wahrnimmt, sieht sich als Gast auf Zeit. Nach dem Karriereende will er wieder nach Forchheim zurücckehren.

Die unreflektierte Schwärmerei für den Verein und die Stadt gab es bei ihm nie, eher eine langsame Annäherung, aus der Verständnis und Sympathie wuchs. Ein Volksheld wird er bei St. Pauli nicht werden: „Das kann ich auch nicht, dafür sind andere zuständig.“

Was die Entwicklung von Springers fußballerischen Talenten angeht, scheint man sich im Verein nicht ganz einig, welche Seite man fördern sollte, die rationale oder die intuitive. So sagte Manager Helmut Schulte nach dem 0:3 bei Bayern München zum Ausgewechselten: „Christian, spiel' das, was du kannst. Du bist doch eigentlich ein Instinktfußballer.“ Julia Möhn