Himmelfahrt mit Zuspitzung

■ Der Brahms-Chor servierte unter der Leitung Joshard Daus' Mendelssohn-Bartholdys „Alterswerk“ Elias in der Glocke

Dem Brahms-Chor und seinem Leiter Joshard Daus verdanken die Bremer eine stattliche Reihe bemerkenswerter Aufführungen großformatiger, monumentaler Chorwerke des 19. und 20. Jahrhunderts – darunter auch etliche, die gern vernachlässigt werden oder vergessen sind. Sein erstes Konzert in der auferstandenen Glocke brachte allerdings nur eine Begegnung mit Altvertrautem. Felix Mendelssohn-Bartholdys „Alterswerk“ steht seit Jahrzehnten auf der musikalischen Speisekarte unserer Heimatstadt.

Dennoch braucht der interessierte und kritische Musikfreund mindestens eine Eliasaufführung pro Jahr, um seine Position zu Felix Mendelssohn-Bartholdy immer wieder neu zu definieren. Normalerweise ist ihm nämlich beim Genuß der Musik des Meisters nicht ganz behaglich. Schön klingt sie, wohl gerundet schleicht sie sich ins Ohr, eine merkwürdig hochgestimmte Gemütslage ergreift den Hörer. Musik, die gute Laune vermittelt, weil sie so überaus gelungen ist und nur verschämt und einschmeichelnd an den Grenzen des guten Geschmacks kratzt, mag sein Bedürfnis nach musikalischer Wahrheit kaum befriedigen.

Doch derartiges mag man nicht denken, denn es verletzt ein Tabu: Mendelssohn-Bartholdy als einer, der nichts Eigenes zu sagen hat, der sich mit technischem und handwerklichem Geschick einschleicht in den Olymp Deutscher Musik: So hat ihn schon Wagner, der ihn im übrigen zuweilen schamlos kopiert hat, in seinen ekligsten Schriften charakterisiert – aber auch Heinrich Heine gnadenlos verspottet.

Das Oratorium Elias ermöglicht einen genaueren, verständnisvolleren Blick auf den Komponisten. Er sucht hier nach neuen Wegen. Dem aus seiner Stellung als christianisierter Jude in der Frühphase der Judenemanzipation in Deutschland resultierende Zwang, besser, schöner und erfolgreicher als andere sein zu müssen, kam er – begünstigt durch außergewöhnliche musikalische Begabung – nach. Seinen ersten triumphalen Erfolg errang er mit dem christlichen Erbauungsdrama „Paulus“, dem bekannten Konvertiten. Mit dem Elias sucht Mendelssohn nach neuer, nicht fremdbestimmter Identität. Seine Musiksprache wird kühner, er rüttelt an tradierten Formen, entzieht sich dem Zwang, nur Schönes wohlgerundet schreiben zu müssen. Wohlklang, Eleganz und flotte Diktion fehlen auch beim Elias nicht. Abgeschlossen ist die Suche mitnichten. Genau das macht den unwiderstehlichen Reiz des Werkes aus.

In der Glocke war eine respektable Aufführung des vielschichtigen Werkes zu hören, die seinen collagenartigen Charakter allerdings ausblendete.

Ein homogenes wohlklingendes Solistenensemble stand auf dem Podium, aus dem Thomas Mohr, der die Titelpartie sang, herausragte. Mit eher schlankem, hell timbriertem Baß verlieh er den Wutanfällen des grimmigen Propheten eindringliche Konturen und machte dessen depressive Phasen schmerzlich schön erfahrbar. Mit gleichermaßen weitgespannter Ausdruckspalette überzeugte die Altistin Claudia Eder. Groß und klangprächtig im feierlichen Choralgesang, mit rhythmischer Akkuratesse ertönte der verstärkte Brahms-Chor. Besonders durchschlagskräftig der Baß und mit schönem Klang der Sopran.

Zu schaffen machte allerdings das Dirigat von Joshard Daus. Er packte die vielschichtige, durch Stilwechsel geprägte Partitur unterschiedslos mit alttestamentarischer Strenge an. Schon in der Ouvertüre, in der Mendelssohn pendelnd zwischen elegant unverbindlichem Streicherfugato und schwarz-markanten Blechbläsereinwürfen noch nach dem rechten Tonfall sucht, schlägt Daus ein gravitätisches Tempo an. Auch „Zion streckt seine Hände mit gewichtiger Miene“ aus. Alles erscheint gleich schwer und gleich gewichtig, wodurch die ebenso irritierende wie faszinierende Stil- und Ausdrucksvielfalt verdeckt wird und kompositorische Brüche eingeebnet werden. Gut bekommen ist dieser auf ernste Wucht setzende Stil den Passagen dramatischer Zuspitzung und deren Auflösung. So gerieten die blutige Auseinandersetzung mit Baals Priesterschaft, der Triumph des HERRn und des Propheten Himmelfahrt äußerst dicht und packend.

Die Philharmonia Hungarica erwies sich als exakt aufspielender, solider, aber nicht sehr beweglicher Klangkörper, dessen Bläserapparat überzeugte. Zu wünschen wäre nur, daß die Kunst des Pianissimo-Spiels nicht ganz vergessen wird: Chor und Solisten wären auch bei stillen, kontemplativen Stellen besser vernehmbar gewesen.

Gleichwohl, beeindruckend wars schon. Und das Publikum dankte allen Beteiligten, besonders aber Chor und Solisten mit heftigem Beifall. Mario Nitsche