Flaute im Versandhandel

Otto hat im Wettlauf mit Quelle weltweit die Nase vorn – schwache Konsumnachfrage läßt Umsätze stagnieren  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Meine Quelle“ oder „Otto... Find' ich gut“? Im Wettbewerb der Versandhandelsgiganten schmücken sich die Fürther mit dem Titel des „größten Versandhauses in Europa“, die Hamburger nennen sich die „größte Versandhandelsgruppe der Welt“. In Wirklichkeit hat Otto die Nase eindeutig vorn. Seit 1987 ist man mit rund 20 Mrd. Mark Umsatz im Versandhandel bei einem Gesamtumsatz von rund 25 Mrd. Mark und 57.000 Mitarbeitern nicht nur die Nummer eins in der Welt, sondern auch in Europa und Deutschland. Da ändern auch die neuesten Zahlen der Fürther Schickedanz Holding nichts. Bei einem Gesamtumsatz von 14,2 Milliarden mit 33.300 Mitarbeitern schlägt der Versandhandel mit 12 Milliarden zu Buche. Damit ist man nur Vizeweltmeister.

Um trotzdem den Titel des Europachampions für sich reklamieren zu können, bedient sich Quelle eines Tricks. Man stellt den Quelle-Versand als Einzelunternehmen ohne die Versender Schöpflin, Elegance oder Madeleine dem Otto- Versand ohne Schwab oder Heine gegenüber. Und siehe da, mit einem Umsatz von rund 8 Milliarden Mark rangieren die Fürther gut eine Milliarde vor den Hanseaten.

Solche Hahnenkämpfe der beiden Familienkonzerne können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zeiten der großen Zuwächse im Versandhandel vorbei sind. Bei Schickedanz haben sich die Gesamtumsätze gegenüber 1996 verringert. In der Hamburger Otto-Zentrale, die ihre 96er Zahlen offiziell erst im März bekanntgibt, geht man davon aus, daß man nicht unter dem Vorjahr abschneidet. Die schleppende Nachfrage nach Konsumgütern und vor allem die Unsicherheit der Käufer hinsichtlich ihres zukünftigen privaten Budgets machen dem Versandhandel schwer zu schaffen. Ottos Aufstieg zur unangefochtenen Nummer eins begann mit dem Einstieg in den internationalen Versandhandel. Erst 1974, da hatte Quelle schon längst eigene Versandunternehmen in Österreich, Frankreich oder Spanien, beteiligte sich Otto an dem französischen Versandhaus „3 suisses International“ und hatte damit den Fuß in den Märkten von Belgien, Portugal und Spanien. Es folgte Großbritannien, und 1993 übernahm mit Postalmarket Mailand die italienische Nummer eins. Schon 1982 übernahm man mit Spiegel die zweitgrößte Versandhandelsgruppe in Nordamerika.

Im Gegensatz zu Quelle, die schon vor der Wende mit Joint- venture-Unternehmen in Ungarn und Rußland vertreten waren und sich dann in Tschechien, Polen und der Ukraine engagierten, konzentrierte sich Otto aufgrund der „augenblicklich schwierigen Rahmenbedingungen für Osteuropa“, so Pressesprecher Detlev von Livonius, auf Asien. „Angesichts eines vergleichsweise dynamischen Weltwirtschaftswachstums und steigenden Anteils am Welt-Bruttosozialprodukt“ soll dort künftig der Schwerpunkt der weiteren Expansion von Otto liegen. Nach Engagements in Japan und Indien steht der große Wurf unmittelbar bevor. Mit der Shanghai Cheer Group, eine der größten Einzelhandelsgesellschaften in der Region Shanghai, gründete man ein Joint-venture und baut derzeit ein Versandhandelsgeschäft in China auf. Bereits im Frühjahr 1998 will man die 15 Millionen Menschen in dieser Region mit einem Katalog beglücken.

Während also Otto mit eigenen Versandhandelsunternehmen aktiv wird, betrachtet man bei Schickedanz den asiatischen Raum vorwiegend als wichtigen Bestandteil im internationalen Beschaffungsnetz. Wenig Glück hatten die Fürther mit ihren Industriebeteiligungen. Die Patrizier-Brauerei, die Vereinigten Papierwerke oder Gold-Zack stieß man ab, der Einstieg in den Computermarkt über Escom mißglückte.

Otto beteiligte sich dagegen mit 45 Prozent an der Actebis-Holding, dem zweitgrößten Computervertrieb in Deutschland und Europa. Europaweit schnellte deren Umsatz 1995 gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent auf 2,4 Milliarden Mark hoch.

Aufgrund dieser Entwicklung hatte Schickedanz-Vorstandschef Wolfgang Bühler die „Konzentration auf unsere inneren Stärken“ als Devise ausgegeben. Jetzt, nachdem die Konzentration auf die Bereiche Versandhandel, stationärer Handel mit Beteiligungen sowie Finanzdienstleistungen abgeschlossen ist, tritt der 65jährige Schwiegersohn des verstorbenen Konzerngründers Gustav Schickedanz ab. Er übergibt sein Amt und ein nach eigenen Angaben „bestelltes Haus“ dem erst 36jährigen Ingo Riedel, einem Schwiegersohn der Schickedanz-Tochter Louise Dedi und damit dem letzten Repräsentanten der Gründerfamilie im Vorstand.