Atommüll kommt, Gemeinnutz geht

■ Vor Castor-Transport durchsucht BKA Wohnungen von AKW-Gegnern. Bürgerinitiative verliert Gemeinnützigkeit

Hannover (taz) – Die sechs nächsten Gorleben-Castoren stehen noch in Süddeutschland und Frankreich – aber die Staatsmacht ist schon gegen den wendländischen Widerstand unterwegs: Beamte des niedersächsischen Landeskriminalamts, Anti-Terror-Spezialisten des BKA und weitere Polizisten durchsuchten gestern sechs Gebäude im Landkreis Lüchow-Dannenberg und zwei weitere in den angrenzenden Kreisen Lüneburg und Uelzen. Beschlagnahmt wurden dabei lediglich Plakate, keinewegs geheime Flugblätter und einige Unterlagen der Aktion „X-tausendmal quer“, in der sich gegenwärtig bundesweit AKW-Gegner zu „gewaltfreien Sitzblockaden“ gegen den nächsten Castor-Transport verpflichten.

Der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg will unterdessen das Finanzamt Lüchow an den Kragen: Der als Verein eingetragenen BI wurde rückwirkend für die Jahre 1994 und 1996 die Gemeinnützigkeit aberkannt. „Mit fadenscheinigen und konstruierten Vorwürfen soll uns pünktlich zum 20. Jahrestag des Widerstandes in Gorleben finanziell der Hahn zugedreht werden“, kommentierte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke gestern den Bescheid. Das Amt wirft der BI für das Jahr 1994 vor, am Abend des 21. November zu einer Demo vor dem Gorlebener Zwischenlager aufgerufen zu haben, die um 23.59 Uhr – eine Minute vor Inkrafttreten eines Demoverbotes – zu Ende gehen sollte. Diese Zeitplanung sei ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht, der den Entzug der Gemeinnützigkeit rechtfertige.

Das damalige Demonstrationsverbot ist allerdings später von den Verwaltungsgerichten als rechtswidrig eingestuft worden und war schon seinerzeit gegenstandslos, da ein unmittelbar bevorstehender Castor-Transport kurz zuvor abgesagt worden war. Für das Jahr 1996 lastet das Finanzamt der BI an, ein Plakat ausgehängt und Flugblätter ausgelegt zu haben, in denen Castor-Gegner unter ihrem vollen Namen zur öffentlichen Schienendemontage aufgerufen hatten.

Mit dem gleichen Aufruf zum zivilen Ungehorsam vom September vergangenen Jahres an den Gleisen zwischen Dannenberger Ostbahnhof und der Castor- Umladestation begründeten Polizei und Staatsanwaltschaft Lüneburg gestern auch die Durchsuchungsaktion – laut Staatsanwaltschaft ist dies eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“. Durchsucht wurde etwa auch die „Ökumenische Aktions- und Lebensgemeinschaft“ in Güstritz bei Lüchow, in der vor allem christlich motivierte AKW-Gegner leben. Die Spezialisten des Bundeskriminalamtes fahndeten nach Polizeiangaben im Zuge der Aktion nach Hakenkrallen für Bahnanschläge – dies natürlich vergeblich.

Nach den Grünen hat inzwischen auch die Bonner SPD von der Bundesregierung einen Stopp der Castor-Transporte ins Wendland gefordert. Minsterpräsident Gerhard Schröder erklärte gestern, bei den jüngsten Energiekonsensgesprächen sei auch über einen möglichen Stopp der Castor-Transporte gesprochen worden. Bonn und die Energieversorger, vor allem aus Süddeutschland, seien aber dagegen gewesen. Laut Schröder gebe es beim Ausstieg aus der Kernenergie „keine Abstriche“. Aber: „Was die Zeitachse angeht, muß man reden.“ Jürgen Voges

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