140 Minuten Dauerfeuer

■ In John Singletons Wettbewerbsfilm "Rosewood" kommen rassistische Mörder wie eine Naturgewalt über die schwarze Bevölkerung eines kleinen Dorfes in Florida

Raus aus dem Ghetto, rein in den Mainstream – und das mit ordentlich Karacho. So könnte man salopp die Entwicklung von Regisseur John Singleton umschreiben. Er wurde 1968 im Stadtteil South Central von Los Angeles geboren – und wuchs dort auch auf. Nun geht man dort nicht gerade zimperlich miteinander um. Wer das noch nicht im Fernsehen mitbekommen hatte, der bezog sein Bild von Drive-by-Shootings zugecrackter schwarzer Kids recht eindrücklich aus Singletons Film „Boyz'n The Hood“ von 1991.

Mit „Rosewood“ versucht Singleton nun den Frontalangriff aufs weiße Mainstream-Kino: „Ich will die Genres ändern.“ Und dieses Unternehmen ist ihm verdammt ernst. Wer das nach 140 Minuten Dauerfeuer, Lynchjustiz, ja, der lustvollen Liquidierung einer kompletten schwarzen Gemeinde inklusive Erschießung schwarzer Großmütter und Kinder durch weiße Rassisten immer noch nicht kapiert hatte, wurde von Singleton bei der folgenden Pressekonferenz notfalls auch unsanft darauf hingewiesen. „No, baby“ beschied er – immerhin noch charmant lächelnd – einer Kollegin, die nachgefragt hatte, ob sein Superheld „Man“ nicht vielleicht doch etwas zu comic- oder klischeehaft den Macho markiere. Sogar der Kollege Uez, ein erfahrener Meister im Stellen unliebsamer Fragen, scheiterte an Singleton. Seinen Eindruck, die Konflikte der weißen Charaktere in „Rosewood“ seien ausdifferenzierter, als die der schwarzen (den auch ich hatte), befand Singleton als Privatmeinung nicht weiter der Diskussion würdig. Irgendwie wurde man das Gefühl nicht los, die Atmosphäre sei von unterschwelligen Rassismus-Vorwürfen vergiftet. Singleton saß auf dem Podium und verteidigte seinen Film, wie die schwarzen Einwohner Rosewoods ihre Häuser.

„Rosewood“ basiert auf einer wahren Begebenheit. Der kleine Ort im Süden der USA wird, bis auf einen weißen Krämerladenbesitzer, dem auch das meiste Land gehört, allein von Schwarzen bewohnt. 1923, in den Tagen nach Silvester, fanden dort grauenhafte Ereignisse statt. In der Nachbargemeinde Summer – und jetzt beginnt die Mischung aus Historie und Fiktion – behauptet eine Weiße, von einem Schwarzen verprügelt und vergewaltigt worden zu sein. Die Frau löst mit ihrer hysterisch auf der Straße herausgeschrienen Lüge ein Pogrom aus. Dabei wurden nach amtlichen Angaben acht Menschen, nach Zeugenaussagen bis zu 150 Menschen getötet, fast alle African Americans. Erst 1984 kam dieses Ereignis durch die Recherchen eines Journalisten zurück ins Bewußtsein der Amerikaner. Nach zehn Jahren erstritt man 1994 erstmals erfolgreich eine Entschädigung für die Hinterbliebenen der Mordopfer.

Singletons Film dramatisiert die historischen Ereignisse zu einem blutrünstigen „Weiße jagen Schwarze“-Western. Wie eine Naturgewalt läßt er die rassistischen Mörder immer mehr Leid anrichten. Unangenehm an dem Film ist, daß vor uns eine Maschinerie der Gewalt abläuft, die so durchsichtig inszeniert ist, daß das Betrachten der aufgeknüpften Lynchopfer eher Langeweile als Scham oder Abscheu hervorruft. Außerdem beschleicht einen der Verdacht, das Ganze diene im Endeffekt nicht der so groß annoncierten guten Sache, sondern der guten Unterhaltung. Singleton hat die Dramaturgie des Western- und Actionfilmgenres detailgenau ins Schwarze uminterpretiert. Nun sind die Schwarzen die Indianer.

Immerhin versucht er Man, der sich beim Einritt in Rosewood sofort in eine süße Siebzehnjährige verguckt, und die weißen Antihelden nicht zu holzschnittartig aussehen zu lassen. Man, gerade aus dem 1. Weltkrieg zurück, wird erst zum Ende des Films zum Retter, als er die wenigen Überlebenden Frauen und Kinder in einer Art Arche Noah als Urzelle einer zukünftigen, besseren Zukunft aus den Sümpfen Floridas führt. Vorher hatte Muskelpaket Man die Einwohner aus Angst allein gelassen. Bei der Rettung der Überlebenden ist ihm ausgerechnet der weiße Krämer behilflich, der sich davon aber auch nur materielle Vorteile verspricht. Andreas Becker

„Rosewood“, USA 1997, 140 Min., Regie: John Singleton. Mit Ving Rhames, Don Cheadle, John Voight u.a.