Rechtsextremisten verspüren Aufwind

■ Die „Jungen Nationaldemokraten“ entwickeln sich zur wichtigsten Organisation im neofaschistischen Lager. „Die Reichshauptstadt“ gilt als Aktionsschwerpunkt

Spätestens mit den Krawallen vom vergangenen Wochenende zwischen Antifas und Neonazis in Hellersdorf ist eine Organisation in den Blickwinkel gerückt, die lange Zeit als eher unbedeutend galt: die Jungen Nationaldemokraten (JN), Jugendverband der rechtsextremen NPD. Vor allem in Berlin haben die JN mittlerweile die Führungsrolle im neonazistischen Lager übernommen – die „Reichshauptstadt“ gilt als Aktionsschwerpunkt.

„Heute ist mehr denn je der Zusammenhalt aller Nationalisten gefragt!“ So hat der Bundesvorsitzende der JN, Holger Apfel, den politischen Kurs der NPD-Jugend vorgegeben. „Wichtig“, so Apfel jüngst in der JN-Postille Einheit und Kampf, „ist der gemeinsame politische Grundkonsens zur Überwindung des gemeinsamen Feindes – des politischen Systems der BRD.“ Die Beschwörung der politischen Einheit kommt nicht von ungefähr: Seit dem Verbot einer Reihe neonazistischer Organisationen wie der Nationalistischen Front (NF), der FAP oder der Wiking Jugend haben sich die JN zum wichtigsten Sammelbecken der neofaschistischen Szene entwickelt. Der Verfassungsschutz rechnet den JN bundesweit mittlerweile etwa 200 Aktivisten zu, in Berlin treten ungefähr 29 Rechtsextremisten als JN-Kader auf. Die JN seien „zur organisatorischen und ideologischen Nahtstelle zwischen Neonazis, NPD und anderen rechtsextremistischen Organisationen“ geworden.

Die Sammlungsversuche funktionieren. Als den JN-Aktivisten um den Berliner Andreas Storr, nach eigenen Aussagen „Organisationsleiter“ der JN Berlin, am 1. Mai 1996 ein Aufmarsch von bis zu 300 Neonazis gelang, waren selbst die Verfassungsschützer beeindruckt: „Bemerkenswert“, notierten die Geheimdienstler in einer JN-Analyse, „war, daß es trotz kürzester Vorbereitungszeit gelang, eine relativ große Zahl von Rechtsextremisten bundesweit für Berlin zu mobilisieren.“ Bei der Abschlußkundgebung, die auf dem Marzahner Helene-Weigel- Platz stattfand, traten neben den JN-Anführern Storr und Apfel auch Betreiber des „Nationalen Info-Telefons“ Hamburg, André Goertz, und der Berliner Neonazi Christian Wendt von den „Nationalen“ als Redner auf. Anschließend jubelten die Alt-Rechten der NPD, der Nachwuchs habe „vorbildlich“ mit dem Einsatz moderner Technik wie Handys einen wegweisenden Aufmarsch durchgeführt.

Dabei vertreten die JN immer mehr einen klaren nationalsozialistischen Kurs. JN-Mitglieder waren nicht nur maßgeblich an den Vorbereitungen der „Rudolf-Heß- Gedenkmärsche“ der vergangenen Jahre in Fulda und Worms beteiligt, sondern verbreiten auch in ihrem Organisationsblatt Einheit und Kampf entsprechendes Gedankengut. In der aktuellen Ausgabe von Januar 1997 beschäftigen sich die JNler mit der Geschichte der SA und verbreiten das „Widerstandszeichen“, das vorwiegend von Gruppen aus dem militanten Nazi-Lager verwendet wird. Nach organisationsinternen Differenzen hat sich mittlerweile der Hardliner-Flügel um den Bundesvorsitzenden Apfel durchgesetzt. „Gewisse Funktionäre“, so Apfel, würden „heute den nationalen Widerstand geißeln“. Ideologischer Streitpunkt: der positive Bezug von Apfel und Co. auf die nationalsozialistische Vergangenheit.

Mit dem Mordanschlag auf einen linken Buchhändler haben die JN nach eigenen Angaben indes nichts zu tun. „Bei uns war die Stimmung nach der durchgeführten Saalveranstaltung überhaupt nicht aggressiv“, sagte Organisationsleiter Storr. „Der ganze Tathergang sieht nicht so aus, als ob das jemand von uns gewesen wäre.“ Storr schließt zwar nicht aus, daß ein Einzeltäter auch aus seinen Reihen kommen könnte, pocht aber darauf, daß die JN Gewalt ablehne. Das „Nationale Info-Telefon“ Berlin, das von Anhängern der Organisation betrieben wird, hatte nach dem verhinderten Aufmarsch vom vergangenen Wochenende jedoch gedroht: „Die Sache wird ein Nachspiel haben – wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Daß die Aufmärsche Teil einer gezielten Strategie sind, bekräftigte auch der JN-Vorsitzende. „Schon heute“, so Apfel, „sind alle Kameradinnen und Kameraden aus dem nationalen Widerstand dazu aufgerufen, zum 1. Mai 1997 massiv zu mobilisieren.“ Möglicher Aufmarschort: Berlin. host