Stasi schnüffelte in Nazi-Tunneln

■ DDR-Staatssicherheit erforschte nach Mauerbau unterirdische Nazi-Bauwerke, um Fluchtwege gen Westen zu versperren. Unerwarteter Fund von eineinhalb Meter Stasiakten bei der Gauck-Behörde

Die DDR-Staatssicherheit beobachtete nicht nur das Volk, sondern archivierte auch Informationen über die Reste der Hitlerschen Reichskanzlei und des „Führerbunkers“. Das entdeckten jetzt Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Anderthalb Meter Akten berichten von unterirdischen Bauten in Berlins Mitte. Die Stasi-Ablage „Untertägige Anlagen“ enthält Begehungsbilder und Pläne von Tunnel- und Bunkeranlagen zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Vor allem kamen auch Dokumente ans Tageslicht, welche die Bunker der ehemaligen Reichskanzlei, also auch den sagenumwobenen „Führerbunker“, und jene der Ministerien an der Wilhelmstraße betreffen.

In den erst etliche Jahre später abgetragenen Bunkeranlagen fand die Stasi auch zeithistorisch interessante Dokumente aus dem Sekretariat Hitlers, die vermutlich von ihm selbst oder von Goebbels in Auftrag gegeben wurden.

Ein offenbar Zigaretten schmuggelnder Kellner brachte die Stasi nach dem Mauerbau auf die Idee zu dieser Materialsammlung über die Kellerräume der geteilten Stadt. Der Kellner brachte sich im Oktober 1961, mithin zwei Monate nach dem Mauerbau, durch den Besitz von West-Zigaretten in Verdacht, die Grenze geschickt zu unterlaufen. Zwar konnte dem braven Angestellten, der stets an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, nichts nachgewiesen werden, doch die Staatssicherheit war hellhörig geworden. Mit Vermessungen und Schalluntersuchungen entdeckte man tatsächlich unterirdische Stollen nach Westen und versperrte diese. Nach Abschluß der Aktion scheint es keine Verwendung mehr für die jetzt gefundenen Papiere gegeben zu haben.

Sie landeten, da die Bauten und Katakomben großteils aus der Nazizeit stammten, in der MfS- Abteilung zur „Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen“, wo sie die letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre unter Verschluß gehalten wurden. Ohne nachvollziehbaren Grund, wie es nach einer ersten Sichtung der Unterlagen durch die Gauck-Behörde scheint, denn die Akten enthalten weder in historischer noch in politischer Hinsicht wirklich Brisantes. „Die Geschichte muß nicht umgeschrieben werden“, erklärte Johann Legner, Sprecher der Gauck-Behörde, wohl aber sei einiges von stadt- und architekturgeschichtlichem Interesse dabei.

Der Bausenat soll nun prüfen, was für ein Nutzen aus dem unerwarteten Aktenfund zu ziehen ist. Danach werden die eineinhalb Meter Papier „umgebettet“: Der größte Teil wird die nächsten Dekaden im Berliner Landesarchiv verbringen. Holger Wicht