Die verlorene Jugend reicht kaum fürs Begräbnis

■ Einstige ukrainische Nazi-Opfer sehen sich heute um ihre Entschädigung geprellt

Moskau (taz) – Die heute 75jährige Nadja Manjuk aus dem westukrainischen Rowno wurde als 19jähriges Mädchen von den Nazitruppen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Kürzlich war ihr ein Erlebnis vergönnt, um das viele ihrer Landsleute und LeidensgenossInnen nun dank eines Finanz- und Regierungsskandals betrogen werden könnten: Sie erhielt von der deutschen Regierung eine Entschädigung für ihre Fron. Lange hatte sie sich auf den Tag gefreut. Als erstes wollte sie sich Bananen kaufen. Die Summe beträgt 560 Mark, denn Nadja hatte es in Deutschland relativ gut getroffen, sie arbeitete unbewacht in der Landwirtschaft, in einem Dorf bei Hannover. Ehemalige KZ- Häftlinge und UkrainerInnen, die in der deutschen Industrie zu Krüppeln wurden, durften je 800 Mark Entschädigungszahlung erwarten.

So wollte es das Verteilungsschema, das die ukrainische Regierung im Oktober 1993 veröffentlichte. Damals schlossen die Ukraine, Rußland, Weißrußland und die Bundesrepublik Deutschland einen Vertrag. 400 Millionen Mark für 600.000 ukrainische Opfer des Nationalsozialismus wurden demzufolge von der Bundesregierug der „Ukrainischen Nationalstiftung Verständnis und Versöhnung“ zugeleitet. Doch kaum einen Monat nach Vertragsabschluß verwandelte sich diese staatliche Stiftung unter Mitwirkung des damals kommissarischen Ministerpräsidenten Jefim Swjagilski in eine quasi-private Wohltätigkeitsorganisation. Das Wörtchen „national“ wurde aus dem Namen der Stiftung gestrichen. Im Dezember 1993 wurde aus den Statuten auch eine Bestimmung entfernt, derzufolge der gesamte Stiftungs-Vorstand von der Regierung zu ernennen sei.

Da die ukrainische Regierung so wenig Vorsicht zeigte, nimmt es nicht wunder, wenn der Stiftung selbst bei der Wahl ihrer Banken Mißtrauen erst recht fremd war. Die Mittel aus Deutschland wurden in die Kiewer Gradobank gelegt. Und dieses Geldinstitut ist nun bankrott gegangen – eine Entwicklung, mit der zu rechnen war. Fachleuten zufolge war schon der Name nur eine neue Bezeichnung für die Kiewkoopbank, die sich Anfang der 90er Jahre im Zuge hochstaplerischer Affären in Luft auflöste. 118 Millionen Mark der für Nazi-Opfer bestimmten Summe sind mit der Gradobank dahin. Der ukrainische Präsident Leonid Kutschma versprach diese Woche, die Untersuchung der Mißstände in Stiftung und Bank persönlich zu leiten. Das Geld wird er dabei wohl kaum wiederfinden.

Mitarbeiter des ukrainischen Sicherheitsdienstes äußerten gegenüber der Moskauer Tageszeitung Kommersant den Verdacht, auch die lange Wartezeit der ukrainischen Nazi-Opfer auf ihre Kompensationszahlungen hänge damit zusammen, daß die Stiftung das Geld inzwischen in mehreren Banken für sich „arbeiten“ ließ. Auf rund zwei Millionen Mark schätzen sie außerdem den Gewinn, der sich daraus ergab, daß seit 1993 viele der Empfangsberechtigten verstarben, ohne ihr Geld zu Gesicht zu bekommen. Auch Nadja denkt heute mehr an den Tod als an Bananen. Ihr Schluß: „Das hätte ich mir als blutjunges Ding nicht träumen lassen, als ich in Deutschland schuftete und nicht wußte, was aus mir wird. Daß ich damals gerade dabei war, das Geld für meine Beerdigung zu verdienen!“ Barbara Kerneck