„Rußland fühlte sich unter Druck gesetzt“

■ Der Beutekunst-Spezialist Wolfgang Eichwede über die Rückgabeverhandlungen

taz: Werden noch einmal Verhandlungen mit der russischen Regierung stattfinden, bevor der Föderationsrat am 4. März über das Beutekunst-Gesetz abstimmt?

Wolfgang Eichwede: Das hoffe ich. Allerdings ist die Frist sehr kurz. Man kann nicht erwarten, daß in diesen drei Wochen eine Einigung zustande kommt.

Der Kulturausschuß des Föderationsrates empfahl, das Beutekunst-Gesetz anzunehmen.

Aus dem Rechtsausschuß aber kamen wegen völkerrechtlicher Erwägungen Bedenken.

Nach Abschluß des deutsch- sowjetischen Vertrages 1990 sah die Situation noch ganz anders aus. Dort heißt es, daß unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze zurückgegeben werden.

Wir hatten 1990/91 eine Phase der Euphorie in den Ost-West-Beziehungen. Damals konnte man glauben, daß, wenn man sich über die neue Landkarte Europas friedlich einigt, man sich auch über Kirchenfenster oder einen Dürer gut verständigen kann.

Warum hat sich die Lage inzwischen derart verschlechtert?

Anfangs hatte die russische Seite sicher gehofft, daß Deutschland im Fall einer Rückgabe im Gegenzug entweder Kulturgüter, die Rußland verloren hat, wiederfindet oder aber mit Gesten der Dankbarkeit antwortet. So etwas haben die deutschen Unterhändler auch nie ausgeschlossen, aber lange Zeit nicht in den Vordergrund ihrer Politik gestellt, sondern in erster Linie auf die Einhaltung des internationalen Völkerrechts gepocht.

Hat das Beharren auf der juristischen Legitimation der deutschen Forderungen nach Rückgabe der Beutekunst den Verhandlungen geschadet?

Ich finde es kein Fehler, wenn ein Land, das eine Geschichte hat wie unseres, sich selbst und andere an völkerrechtliche Bestimmungen erinnert. Wenn dies aber geschieht, ohne daß man bereit ist, auf die andere Seite zuzugehen, dann ist das ein Ansatz ohne Perspektive. Die russische Seite fühlte sich unter Druck gesetzt. Das Beharren auf juristischen Positionen muß eine Politik der historisch begründeten Pragmatik, der kleinen Schritte, nicht ausschließen.

Haben die Deutschen das Problem Beutekunst unterschätzt?

Die deutsche Seite hat in der Tat geglaubt, daß sie es einfacher hat. Kulturgüter durch das Völkerrecht zu schützen war 1907 übrigens ein Vorschlag der zaristischen Regierung. Man hat geglaubt, mit dieser Argumentation bei der russischen Seite durchzukommen. Außerdem wurden die innenpolitischen Turbulenzen und auch die Entwicklung nationaler Stimmen ganz deutlich verkannt. Die Deutschen haben damals vielleicht, ich drücke mich mal vorsichtig aus, nicht immer die glücklichste Hand gehabt.

Was für einen Sinn macht es überhaupt, die Beutekunst zurückzuholen? Wenn die Dinge, über die jetzt verhandelt wird, in den letzten fünf Jahrzehnten irgendwo verrottet wären, würde heute kein Hahn mehr danach krähen...

Aber sie sind eben noch da. 1992 waren der Leiter der Bremer Kunsthalle und ich die ersten, die zu den Depots der Eremitage zugelassen wurden. Das war ein feierlicher Moment. Michail Piotrowski, der Direktor der Eremitage, meinte, nun sei es vielleicht möglich, zu einer gemeinsamen, durch die Kunst definierten Zukunft zu finden. Große Worte. Er meinte, die Geschichte dieser Bilder könnte zu etwas umgewandelt werden, das uns näherbringt, aus der leidvollen Erfahrung würde eine Friedensgeste werden.

Wie könnte sich die Dankbarkeit der Deutschen, von der Sie eben gesprochen haben, äußern?

Man könnte an der Restaurierung von Kirchen, Schlössern, Bibliotheken oder Kunstwerken mitarbeiten. Wir haben Experten der Eremitage nach Bremen eingeladen, damit sie sich bei uns umsehen, was aus unserem Bestand für sie interessant sein könnte. Denkbar wäre z. B., daß wir eines unserer Gemälde als Leihgabe nach Petersburg geben, nach fünf Jahren wieder ein anderes und so fort.

Sie in Bremen haben bereits versucht, über Hilfsangebote die Rückgabe der Kulturgüter zu erreichen, und sind damit gescheitert.

Es gibt auf russischer Seite leider keinen wirklich Entscheidungsberechtigten. Und der russische Präsident hat bislang nicht den Mut gefunden, den nationalistischen Strömungen in dieser Frage eine konstruktive Politik entgegenzusetzen. Bremen konnte und wollte keinen Alleingang machen, Bonn hat die mögliche Gunst der Stunde zu einem Kompromiß nicht genutzt. Die russische Seite braucht vor ihrer eigenen Öffentlichkeit eine große Geste.

Angenommen, die Föderationsrat stimmt dem Beutekunst- Gesetz zu. Was hieße das?

Der Präsident kann sein Veto einlegen. Er kann aber auch durch Zweidrittelmehrheiten in Duma und Föderationsrat überstimmt werden. Wenn das Gesetz durchkommt, ist das kein Schritt zur Verständigung zwischen beiden Ländern, das muß man so hart sagen. Andererseits: Auch wenn die deutschen Kulturgüter in Rußland verstaatlicht würden, heißt das noch nicht, daß sie nicht abgegeben werden können. Das fragliche Gesetz definiert zwar den Eigentümer, schreibt ihm aber nicht vor, was er mit seinem Besitz zu machen hat. Interview: Ulrich Clewing