Vergangene Gegenwart

Schön ist die Welt: Eine großangelegte Fotodokumentation von Bau- und Naturdenkmalen der DDR versucht das Unmögliche – den Blick für das Unwiederbringliche zu schärfen  ■ Von Brigitte Werneburg

Niemand hat je durch Fotografien Häßlichkeit entdeckt“, diese Feststellung Susan Sontags benennt die große Krux der Fotografie. Da die Fotografie aufgrund ihres Aufzeichnungsverfahrens der Wahrheit stark verpflichtet scheint, wirkt dieser Sachverhalt widersprüchlich. Die Fotografie reproduziert die dem Objektiv sich darbietende Welt verhunzt, wie sie ist – und sie ist schön.

Diesem Paradoxon entkommt auch die Bilddokumentation „Fotografie und Gedächtnis“ in der Fotogalerie des Kulturamtes Friedrichshain nicht. Es war der Fall der Mauer, berichten die Initiatoren des denkmal- und naturschützerischen Projektes, Diethart Kerbs und Sophie Schleußner, der den Anlaß gab, die Orte und Landschaften in drei der fünf Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen- Anhalt einer fotografischen Bestandsaufnahme zu unterziehen, bevor die kapitalistische Erneuerungswelle das Bild der DDR in kürzester Zeit in den Orkus der Erinnerungslosigkeit spülte.

Es ging um Orte und Landschaften, von denen es aus DDR-Zeiten keine oder nur wenige professionelle Fotografien gibt. Denn wenn sich hier 1990 noch komplette Fabrikanlagen mit einigermaßen funktionsfähig erhaltenen Erstausstattungen an Maschinen und Geräten aus der Gründungszeit vor dem Ersten Weltkrieg fanden, dann war das ein Skandal und den Funktionären peinlich genau bewußt. Zunächst sind ja Fabriken Produktionsmittel, die als solche auf der Höhe der technischen Entwicklung sein sollten, und keine lebenden Museen.

Für das Projekt „Fotografie und Gedächtnis“ hätte es also gegolten, den Skandal, das unverhofft Erhaltene und seine neuerliche Bedrohung zugleich ins Bild zu setzen. Kontextualisierung mit Hilfe der Serie, genaue Datierung und Betextung sind das übliche Mittel, diese Aufgabe zu meistern. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und den Kultusministerien der Länder erarbeiteten 56 Fotografinnen und Fotografen 75 Dokumentationen. 25 für jedes Bundesland, wobei jede Dokumentation mindestens 240 Einzelaufnahmen als Kontaktkopien im Mittelformat, also 6x7 oder größer, umfaßte. Daraus wurden 40 Motive ausgewählt und im Format 24x30 cm auf Barytpapier abgezogen. Das ergab über 18.000 Aufnahmen und über 3.000 Vergrößerungen, die nun verschiedenen öffentlichen Kulturinstitutionen in den drei Bundesländern zur dauerhaften Aufbewahrung übergeben werden sollen. Den Bezug, den Kerbs und Schleußner zur berühmten „Farm Security Administration“-Fotografie aus den 30er Jahren herstellen, wird im Umfang des Projekts deutlich, der ebenso wie die große Zahl der beteiligten FotografInnen Sympathie für seine systematische Anlage weckt.

Trotzdem fällt beim Begehen der Ausstellung zunächst weniger die Systematik als vielmehr die Schönheit der Bilder auf. Man erkennt die sorgfältige Arbeit und das hohe technische Können, das in ihnen steckt. Aber es ist eine wundersame Welt im Dornröschenschlaf, die man vor sich sieht. Entrückt, schwarzweiß und erschreckend unbekannt. Nicht, daß man solcherart verfallene Herrenhäuser, Gutshöfe, Kirchen- oder Fabrikruinen, solche köstlichen Eichenalleen und buckligen Pflasterstraßen nie gesehen hätte. Doch auf Fahrradtouren ins Umland von Berlin zur gleichen Zeit, als die Aufnahmen entstanden, sah diese Welt kaputter, dreckiger, vom Abfall zerstörter, bunter, kurz: gewöhnlicher aus.

Natürlich ist es so: Nur wenn Sentiment im Spiel ist, läßt sich in dem nur mit Not, weil nur aus der Not Bewahrten, das Bewahrenswerte erkennen. Nur der nostalgisch infizierte Blick, der weiß, welche Verluste die ständige Modernisierung von Gesellschaft und Umwelt bedingt, sieht im maroden, aber, wenn es darauf ankommt, seit einem Jahrhundert unveränderten Dorf, den Gewinn an Anschaulichkeit und Wissen um alte Formen und Materialien, das Unwiederbringliche. Das haben die Initiatoren im Gespräch mit den Anwohnern selbst resigniert erkannt.

Ob es hilft, das Verständnis der eigentlich Betroffenen zu gewinnen, wenn Architektur und Landschaft nun so delikat und fotogen geraten? Wenn in einem Begleittext der Gutsalltag um 1912 als putziger Tagtraum imaginiert und das Herunterwirtschaften des Schlosses Lebehn in Südvorpommern zu DDR-Zeiten als mehr oder minder gelungenes Arrangement mit den Umständen beschönigt wird? Arrangieren tun sich die Leute weiterhin. Gerade weil das Projekt spontane Zustimmung hervorruft, ist diese Ästhetisierung und freiwillige Sentimentalisierung der schon längst eingetretenen Katastrophe bedauerlich – wenn sie denn in jedem Einzelfall eine ist. Denn spätestens wenn das Stuckdekor aus dem Baukatalog, das viele Gutshäuser aus dem 19. Jahrhundert ziert, dem grandiosen Dachboden des großen Kuhstalls des Guts Düssin gleichwertig erscheint, wird die Sache fragwürdig. Mit der mangelnden Differenzierung wird den Freunden des Einkaufszentrums die Sache zu leicht gemacht.

Gerade weil in „Fotografie und Gedächtnis“ so viel gute Arbeit und Engagement aller Beteiligten steckt, hätte man die Ausstellung nutzen müssen, diese Arbeit zu zeigen. Man hätte einige Kontaktkopien präsentieren sollen, und man hätte hier einmal die vollständige Serie der 40 Abzüge zeigen müssen, was im Katalog schlecht geht. Und auch wenn die Schwarzweißfotografie mit dem guten Grund ihrer Haltbarkeit gewählt wurde, was hätte dagegengestanden, zusätzlich in Farbe zu fotografieren? Selbst im Wissen, daß sie vergeht, hätte sie jetzt für mehr Nüchternheit und mehr Alltag gesorgt. Es ist der Skandal und neuerliche Bedrohung, die zu kurz kommen in der großartigen Feier der ruinösen DDR. Diese aber zieht die Menschen an. Noch nie habe ich die Fotogalerie so stark besucht erlebt.

Bis 27.3., Di.–Sa. 13–18, Do. 10–18 Uhr, Helsingforser Platz 1