Xenophile Ausfälle?

■ betr.: „Elend der Psychiatrie“, taz vom 17. 2. 97

Ein Fachmann stellt in der taz fest, daß Gewalttäter, die Mädchen und Jungen sexuell mißhandelt haben, „praktisch alle rückfällig werden“. Wahrscheinlich stimmt das, und wahrscheinlich stimmt auch, was Hilgers weiter schreibt, daß die „psychotherapeutische Aufarbeitung schwerer Gewalttaten (...) eher eine Illusion dar(stellt)“. Aber die Gewalttäter haben ihre Taten „in ihr Selbstbild integriert“, nämlich als sie diese planten und ausführten. Sie haben sich einmal entschlossen, Verbrechen zu begehen. Die Begründung ihrer Taten damit, daß sie den Tätern geholfen hätten, „Kränkungen und Alltagskonflikte“ zu überwinden, ist der blanke Hohn. Würde ein namhafter Autor der taz Gewalttaten gegen AusländerInnen damit erklären, daß die Täter damit „Alltagskonflikte“ kompensieren wollten, ein Sturm der Entrüstung bräche los, und zu Recht.

Männer, die Kinder mißhandeln, als „pädophile Straftäter“ zu bezeichnen, ist dasselbe, wie über fremdenhassende Gewalttäter zu sagen, sie wären „xenophil“, fremdenliebend. Die patriarchalisch- hierarchischen Verhältnisse zwischen Männern und Frauen sowie zwischen (männlichen) Erwachsenen und Kindern legen es Männern nahe, sich auf gewalttätige Weise zu entäußern. Werbung und Medien zeigen Frauen und Kinder als Objekte und als Mittel des Verkaufs von Waren aller Art. Die Gewalttaten gegen Mädchen, Jungen und Frauen finden nicht in „sozialen Randgruppen“ statt, sondern in der Mitte der Gesellschaft, oft in der Familie, und die Täter gehören allen Schichten der Bevölkerung an. Sie führen ihre Taten nicht im Affekt, sondern zielgerichtet durch.

Manche begeben sich beispielsweise zum Zwecke der sexuellen Mißhandlung von Kindern ins Ausland. Gewalttäter dokumentieren ihre Taten auf Filmen oder Fotos, sie schlagen aus ihren Taten Profit, indem sie diese Dokumente als Pornographie vermarkten.

Überlebende von Gewalttaten müssen lebenslang mit ihrem „Selbstbild“ damit fertig werden, daß sie Opfer geworden sind, ohne jedoch, wie Hilgers es für die Täter fordert, auch lebenslang Zugang zu Therapien zu haben – nicht einmal, wenn sie dies wünschen. Dafür ist kein Geld da. Die Behandlung von Opfern endet im allgemeinen nach einer halbjährigen Therapie.

Deshalb finde ich, ein Psychoanalytiker sollte, wenn er für Gewalttäter lebenslange Psychiatrisierung fordert, damit diese ein „einigermaßen lebenswertes Leben“ führen können, auch einmal über Geld nachdenken. Möglicherweise würden die Täter leichter begreifen, was sie getan haben, wenn sie dafür mit ihrem Vermögen einstehen müßten, zuallererst für Fonds, aus denen die Betreuung der Opfer mitfinanziert werden sollte, und zwar so lange, wie die Opfer dies wünschen. In nächster Priorität kann dann diskutiert werden, wie männliche Heranwachsende damit vertraut gemacht werden, daß Gewalt keine Konfliktlösung ist und daß Frauen und Kinder nicht die Blitzableiter ihrer „Kränkungen und Alltagskonflikte“ sind.

Und erst dann sollte darüber spekuliert werden, ob die notwendige Sicherheitsverwahrung von Gewalttätern besser in Strafanstalten oder in der Psychiatrie stattfinden sollte. Ulrike Meyer, Berlin