Letzte Rettung Thailand

Im Osten Birmas ereignet sich ein weitgehend ignoriertes Flüchtlingsdrama: Tausende Angehörige des Karenvolkes fliehen vor Regierungstruppen  ■ Aus Umphang Jutta Lietsch

Als die Kämpfe in der Nacht bis kurz vor das Dorf Mae Taraw Ta vorgedrungen waren, griffen der Bauer Saw Hla See und seine Frau Ma Thya ihre sieben eigenen und ein paar Nachbarskinder und liefen los. „Einige aus dem Dorf haben uns gewarnt: Wenn die Soldaten der Regierung uns finden, werden sie uns alle umbringen“, berichtet der Bauer. Oder sie würden gezwungen, als Träger für die Soldaten zu arbeiten. Obwohl er von einem Malariaanfall und Asthma geschwächt war, entschied er, mit der Flucht nicht länger zu warten.

Im Osten Birmas ereignet sich derzeit ein von der Welt weitgehend ignoriertes Flüchtlingsdrama: Tausende Angehörige des Karenvolkes fliehen vor einer Offensive der birmesischen Regierungstruppen über die Grenze nach Thailand. Stundenlang marschierte die Bauernfamilie durch das unwegsame und malariaverseuchte, teils von dichtem Dschungel bedeckte Bergland bis zur Grenze. Helfer brachten sie auf die andere Seite und luden sie auf einen Lastwagen, der schon voll von Flüchtlingen war.

Übermüdet und verstört sitzt die Familie jetzt rund vier Kilometer weiter am Rande einer schmalen und gewundenen Straße, die von der Grenze zu dem thailändischen Örtchen Umphang führt. Vor der glühenden Mittagssonne schützt ein provisorisches Dach aus Bananenblättern auf einem Bambusgerüst.

Außer einer Matte, einem kleinen Korb mit Reis und Töpfen haben sie nichts mitnehmen können. Auf dem schmalen Seitenstreifen entstehen immer neue provisorische Unterkünfte. Familien lagern im trockenen Graben an der Bergseite, halb versteckt unter Plastikplanen. Männer und Frauen klettern den steilen Hang hinunter, um von einem Bach Wasser zu holen, Bambus für neue Dächer zu schlagen und Holz zum Kochen zu suchen. Kinder schleppen Blätter und Wasserkanister. Pick-up- Transporter und Lastwagen laden neue Flüchtlinge ab.

Rund viertausend Karen sind seit Ende letzter Woche hier gestrandet. Tausende mehr kamen an anderen Stellen über die Grenze. Viele von ihnen sind nicht zum erstenmal auf der Flucht: Sie waren bereits in früheren Jahren aus ihren Dörfern vertrieben worden und lebten seitdem in von der Karen National Union (KNU) organisierten Lagern auf der birmesischen Seite der Grenze – immer bereit, sich bei Angriffen der Regierungssoldaten nach Thailand zu retten.

Saw Hla See, ein schmaler Mann von 54 Jahren, hat nur einen Gedanken: „Wir müssen bald zurück.“ Denn der Regen kommt bald, im Mai, und er muß noch das Dach seines Hauses decken. Vor der Flucht hatte die Familie dafür die Bananenblätter vorbereitet. Auch das Stück Land, das er in diesem Jahr bepflanzen will, hat er schon abgeflämmt.

Doch an eine schnelle Rückkehr ist kaum zu denken. Dr. Em Marta, Gesundheitsminister der KNU-Rebellen, sitzt müde und deprimiert unter der Plastikplane seines provisorischen Lagerbüros. Freimütiger als andere KNU- Funktionäre spricht der Arzt aus, was offensichtlich ist: „Diese Offensive der Regierung ist ein schwerer Schlag für die Karen.“ Die auf gut zehntausend bewaffnete Kämpfer geschätzten KNU- Einheiten stehen bis zu dreißigtausend Regierungssoldaten gegenüber. Nicht nur hier, bei Umphang, sondern auch in den weiter südlich gelegenen thailändischen Provinzen an der 2.500 Kilometer langen Grenze wächst die Zahl der Flüchtlinge. Seit Tagen pendelt Marta nach Birma, um gemeinsam mit dem Flüchtlingskomitee der Karen und anderen Hilfswerken den Transport der Fliehenden zu organisieren. Dabei sind die thailändischen Soldaten hilfreich: Obwohl die offiziellen Grenzübergänge gesperrt sind, hindern sie die Flüchtlinge nicht, über die grüne Grenze zu kommen. Marta rechnet damit, daß noch mehrere tausend Karen kommen – wenn sie es schaffen. „Vier- bis fünftausend Leute sind von den Regierungstruppen eingekesselt.“ Insgesamt rechnet er mit 15.000 Flüchtlingen.

Vielleicht aber folgen nicht alle Karen dem Rat – oder der Anweisung – des 71jährigen KNU-Führers Bo Mya, vor den birmesischen Truppen zu fliehen. An der Grenze halten sich hartnäckig Gerüchte von einem heftigen Streit in der Spitze der Rebellenorganisation. Der autokratische Führer, General Bo Mya, habe militärisch nicht flexibel genug auf den schnellen Vormarsch der birmesischen Regierungstruppen reagiert. Bei den Verhandlungen über einen Waffenstillstand sei er außerdem zu unbeugsam gewesen.

Ende Januar waren die dritten offiziellen Gespräche der KNU mit dem Militärregime gescheitert: „Mit der gegenwärtigen Offensive will uns die Junta wieder an den Verhandlungstisch pressen“, sagt KNU-Funktionär Marta.

Bauer Saw Hla See und seine Familie brauchen nicht lange am Straßenrand wohnen zu bleiben: Das thailändische Militär hat gemeinsam mit der Provinzverwaltung und der Forstbehörde den Flüchtlingen ein Stück Land für ein neues und sichereres Lager zugewiesen – zehn Kilometer landeinwärts. Mit gutem Grund: Denn in den vergangenen Wochen haben birmesische Einheiten mit verbündeten buddhistischen Karen grenznahe Lager auf thailändischem Gebiet überfallen.

Im Lager Wangka vor den Toren der thailändischen Stadt Mae Sot sind die Spuren des Überfalls von Ende Januar unübersehbar: eine riesige, völlig verkohlte Fläche mitten zwischen den Bambus- und Strohhütten des Camps. Aus dem Boden ragen schwarze Baumstümpfe. Kinder stöbern in der Asche nach Nägeln, Frauen in langen Röcken, manche eine Pfeife im Mund, suchen nach Holzresten, die sie zum Kochen benötigen. Thailändische Soldaten mit Schnellfeuergewehren patrouillieren durch das Lager. In der Nacht waren die Birmesen unbemerkt von den Wachen in das Lager gedrungen. Sie trieben die Bewohner zusammen, plünderten die Camp- Geschäfte und legten Feuer. 600 Hütten brannten nieder.

Die Karen von Wangka hatten noch Glück im Unglück: Von zwei weiteren Camps blieb in dieser Nacht kein einziges Gebäude übrig. Die Aktion sollte offensichtlich die Flüchtlinge einschüchtern und den KNU-Kämpfern beweisen, daß ihre Familien sogar auf thailändischem Gebiet Ziel von Racheakten werden können. Ein Lagerbewohner berichtet: „Sie haben gedroht, so oft zurückzukommen, bis wir nach Birma zurückkehren und uns der Regierung ergeben.“