Martin Luther King: Ich habe einen Alptraum

■ Der Mord an dem schwarzen US-Bürgerrechtler wird neu aufgerollt

Washington (taz) – Die Waffe, mit der ein Einzeltäter im April 1968 den tödlichen Schuß auf den schwarzen US-Bürgerrechtler Martin Luther King abgefeuert haben soll, wird möglicherweise erneut untersucht. Ein Bezirksgericht im US-amerikanischen Memphis kam jetzt zu dem Schluß, neue Techniken könnten Antworten auf sehr alte Fragen bringen. Die schlichte Frage nach dem Fortschritt bei der Analyse von Waffen und Projektilen könnte den Weg ebnen für das erste umfassende Gerichtsverfahren um den Mord an Martin Luther King. Dem Attentat folgte damals die weitere Radikalisierung der schwarzen Bewegung in den USA. Heute wird King jedes Jahr mit einem amtlichen Feiertag geehrt.

Für den Mord wurde James Earl Ray am 10. März 1969 zu 99 Jahren Haft verurteilt, ohne daß es einen Strafprozeß gab. Einzige Grundlage des Urteils war sein Geständnis. Es machte Beweiserhebung und Entscheidung eines Geschworenengerichts überflüssig. Drei Tage später widerrief Ray sein Geständnis. Seine Forderung nach einem Strafprozeß wurde durch alle Instanzen abgewiesen. Jetzt leidet der 68jährige an einer schweren Leberkrankheit, an der er nach Auffassung der Ärzte in wenigen Wochen sterben könnte.

Coretta Scott King, die Witwe des ermordeten Pfarrers, und ihr Sohn Dexter King waren im Gerichtssaal von Memphis, um ebenfalls einen Strafprozeß in der Mordsache King zu verlangen. „Ich bin sicher, Sie können verstehen, wie schmerzvoll das ist“, sagte Coretta Scott King vor dem Richter. Aber, so erklärte ihr Sohn, „wenn das ein abgeschlossener Fall ist, warum haben wir dann immer noch Fragen?“

Eine der Fragen betrifft die Tatwaffe. Am Tatort fanden die Ermittler ein Remington-Jagdgewehr, darauf Fingerabdrücke von Ray. Aber keine der ballistischen Untersuchungen erbrachte bisher die Gewißheit, daß der tödliche Schuß tatsächlich aus diesem Gewehr abgegeben wurde. Vor allem aber: Handelte wirklich nur ein einzelner Täter? Ray selbst hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder behauptet, er habe Befehle von einem gewissen „Raul“ erhalten – ohne aber Näheres zu enthüllen. Sein Anwalt zeigte sich vor Gericht überzeugt, die Untersuchung der gefundenen Waffe mit neuen elektronischen Mikroskopen werde beweisen, daß es sich dabei nicht um die Mordwaffe handele. Dann müsse ein Prozeß folgen. Andreas Rostek