Täter, Mitläufer und Komplizen

■ Das Buch einer US-Amerikanerin über Täter und Opfer in kommunistischen Diktaturen sorgt in Deutschland für heftigen Streit. Am Wochenende stellte Tina Rosenberg ihre Thesen in Berlin vor. Mit ihr sprachen An

Täter, Mitläufer und Komplizen

taz: Frau Rosenberg, Ihr Buch hat in Deutschland für großes Aufsehen gesorgt. Die Bandbreite der Rezensionen reicht von Lobeshymne bis zum Totalverriß. Überrascht Sie das?

Tina Rosenberg: Ja, absolut. Das hat sicher viel mit dem unterschiedlichen Kontext zu tun. Ich habe das Buch nicht für ein deutsches, sondern für ein amerikanisches Publikum geschrieben. Viele ironische Aussagen und Betrachtungen sind in Deutschland offenbar mißverstanden worden. Wenn ich schreibe, „Honecker hatte zu seinen Lebzeiten etwas erreicht, was wenigen Sterblichen vergönnt ist: Er hatte sein Paradies erträumt, seinen Aufbau erlebt und war sein König geworden“, dann kommt in den USA kein Mensch auf die Idee, ich könnte damit Honecker verteidigen. Matthias Matussek schreibt im Spiegel, in meinen Augen wäre Honecker ein Held.

Liegt die Aufgeregtheit der Debatte an Ihrem Buch selbst oder an den Deutschen, die Ihr Buch vielleicht so lesen, daß es in ihr Schema von Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland paßt?

Es kann sein, daß mein Buch wirklich nur als Folie dient, vor deren Hintergrund die Deutschen darüber debattieren, in welcher Weise sie mit ihrer Vergangenheit umzugehen haben. Aber im allgemeinen reagieren die Deutschen sehr sensibel auf das Thema Vergangenheitsbewältigung. Hier werden solche Bücher sehr viel ernster genommen als in den USA. Mein Buch hat dort relativ wenig Aufmerksamkeit erfahren.

Natürlich hat die Aufregung auch damit zu tun, daß mein Buch unmittelbar nach Daniel Goldhagen erschienen ist. Da kommt schon wieder jemand aus Amerika, der seine Ansichten über Deutschland zum besten gibt, die einigen nicht gefallen. Wobei ich in meinem Buch weit mehr Kritik daran übe, wie die Polen, Tschechen und Slowaken mit ihrer jüngsten Vergangenheit umgehen.

Warum haben Sie gerade diese drei Länder ausgewählt – Deutschland, Polen und die mittlerweile auseinandergefallene Tschechoslowakei ?

Ich hatte zunächst ganz andere Pläne. Ich wollte erst einmal alle notwendigen Sprachen lernen, was sich als völlig illusorisch erwies. Bei meinen anfänglichen Recherchen bin ich auch nach Bulgarien und Ungarn gereist. Letztlich habe ich über jene Länder und Gesellschaften geschrieben, die im Umgang mit ihrer Vergangenheit bestimmte Verfahrensweisen entwickelt hatten.

Was genau hat Ihr Interesse an Deutschland geweckt?

Eine Radionachricht über den Prozeß gegen die vier Mauerschützen. Als ich dann das erste Mal in Berlin war, war ich wirklich beeindruckt von der Energie und der Intensität, mit der hier die Auseinandersetzung zwischen Opfern und Tätern betrieben wurde. Das war völlig außergewöhnlich. In keinem anderen Land war das so.

Der Umgang von Gesellschaften mit ihrer diktatorischen Vergangenheit ist ein roter Faden, der sich durch Ihre Arbeit der letzten zehn Jahren zieht. Was fasziniert Sie daran?

Das Thema umfaßt die Psychologie und die Politik, die Geschichte und den Alltag, die Justiz und die gesellschaftliche Debatte. Mich fasziniert es natürlich auch, weil ich in zwei Ländern – in Nikaragua und in Chile – diesen Prozeß selbst miterlebt habe.

Sie versuchen mit Ihrem Buch, einen Weg für den richtigen und gerechten Umgang mit einer diktatorischen Vergangenheit aufzuzeigen. Jens Reich hat Ihnen in der Zeit entgegengehalten, daß es eine solche gerechte Behandlung der Vergangenheit gar nicht geben könne. Der Sachverhalt, so Reich, widersetze sich rationaler Zergliederung, er sei objektiv total widersprüchlich und zerrissen. Zu jedem Schicksal gebe es genau entgegengesetzte. Macht dies das eigentliche Problem Ihres Buches aus?

Ich sehe das genauso wie Jens Reich: Es gibt keinen perfekten Weg, auch keinen, der am Ende allen Opfern und Betroffenen gerecht werden kann. Ich beziehe mich da immer wieder auf Bärbel Bohley, die gesagt hat: Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen. Aber meiner Meinung nach sollten im Umgang mit einer diktatorischen Vergangenheit schon ein paar grundlegende Regeln eines demokratischen Systems gelten. Das heißt unter anderem: keine rückwirkenden Prozesse gegen Angehörige des alten Regimes, keine Verfügungsgewalt einer staatlichen Institution über Akten des ehemaligen Geheimdienstes, wie das beispielsweise durch das Lustrations-Gesetz in der Tschechoslowakei ermöglicht worden ist.

Aber die Methode Ihres Buches führt an einen Punkt, an dem Sie Ihrer eigenen Auffassung widersprechen. Das Buch ist in drei große Kapitel gegliedert: Tschechoslowakei, Polen, Deutschland. Sie vergleichen die unterschiedlichen Methoden der Vergangenheitsaufarbeitung ganz zwangsläufig und müssen dabei generalisieren. Dabei geht an einigen Stellen die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit der Prozesse verloren, etwa wenn Sie sagen, alle Tschechoslowaken seien Mitläufer gewesen, alle Polen seien Romantiker, oder es bräuchte nur wenig, um aus den Deutschen allesamt Polizisten zu machen.

Meine Absicht war nicht, zu generalisieren, und ich habe das meiner Ansicht auch nicht getan. Mir ging es darum, meinem Zielpublikum, den amerikanischen Lesern, die Ambivalenz deutlich zu machen, in der die Menschen in dieser Zeit lebten, und die es so kompliziert macht, Täter und Opfer zu unterscheiden. Nicht zuletzt deswegen bezeichne ich lateinamerikanische Diktaturen als „Regime von Kriminellen“ und osteuropäische Diktaturen im Unterschied dazu als „kriminelle Regime“.

Es gibt in den USA zweifellos eine ausgeprägte Tendenz, Konflikte in ein Gut-böse-Schema einzuordnen. Als ich nach einem Verlag für das Manuskript gesucht habe, sagte mir ein Verleger, man sei nicht daran interessiert, weil das Buch zuwenig Schwarz-Weiß enthielte. Mir ging es aber genau darum, die ganzen Grauzonen zu beschreiben. Ich wollte für Amerikaner nachvollziehbar machen, wie kommunistische Regime funktionierten und warum die meisten Menschen freiwillig in ihnen gelebt haben. Deswegen beschreibe ich in meinem Buch persönliche Schicksale. Deswegen kommen auch viele Täter, Mitläufer und Komplizen vor. Im Fall von Vera und Knud Wollenberger habe ich zum Beispiel ihn interviewt und nicht sie – aber nicht, um ihn sympathisch zu machen. Ich denke, er wird in dem Buch als eine gespenstische Persönlichkeit gezeichnet.

Wenn Sie die Grauzonen beschreiben, entgehen Sie in Ihrem Buch nicht immer der Gefahr, die Grenzen zwischen der moralischen Verantwortung jedes einzelnen und der Entschuldigung seines Verhaltens zu verwischen. Am Ende ist jeder ein bißchen Opfer und ein bißchen Täter. So behaupten Sie an einer Stelle, die vier DDR-Grenzsoldaten, die im Februar 1989 Chris Gueffroy erschossen haben, könnten sich mit Unkenntnis herausreden; sie hätten nicht wissen können, daß es sich bei dem Schießbefehl um eine Normverletzung handelte und ihre Tat außergewöhnlich schlimm war. Sie tun gerade so, als ob es in der DDR keinen individuellen Spielraum für Gewissensentscheidungen gegeben hätte.

Nein, das tue ich nicht. Es ist für mich unbestritten, daß alle Menschen in der DDR immer wieder Gewissensentscheidungen zu treffen hatten. Das gilt auch für all diejenigen, die mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Die Grenzsoldaten, die Chris Gueffroy getötet haben, gehörten angeklagt, vor Gericht gestellt und verurteilt – aber nicht im Gefängnis. Auf Befehl gehandelt zu haben, kann nicht als Verteidigung vor Gericht gelten, wohl aber als mildernder Umstand. Ihre Vorgesetzten gehören hinter Gitter, nicht aber die vier Soldaten. Das ändert, wie gesagt, nichts an ihrer moralischen Verantwortung. Natürlich gab es auch in der DDR Menschen, die eindeutig als Täter oder als Opfer ausgewiesen sind. Und ich habe in meinem Buch klargemacht, daß es eine Menge Leute gab, die sich bewußt dafür entschieden hatten, nicht mitzumachen. Aber für einen großen Teil der Menschen in der DDR gilt meines Erachtens, daß sie einerseits unter dem Regime gelitten, es andererseits aber durch ihr ganz alltägliches Verhalten mit unterstützt haben.