Ein Soziopath, aus Eis geschnitzt

■ Kapitalismuskritik als bizarres Schauspiel: „Jim Profit“ (Start: 22 Uhr, Sat.1)

Als professioneller Programmbeobachter hat man schon einiges an Niedertracht erlebt, und allwöchentlich kommen mehr oder minder originelle Schurkereien hinzu. Wirklich neue Maßstäbe aber setzt der Titelheld der neuen Sat.1-Serie „Jim Profit – Ein Mann geht über Leichen“. Der Mann ist einwandfrei ein Soziopath, jedoch keiner von der Sorte, die flackernden Blicks durch Duschen und Schlafzimmer streunt und mit irrem Lachen unartige Mädchen zerschnitzelt. Seine Nächte verbringt Profit in einem Pappkarton, unbekleidet und in Embryohaltung. Der Karton trägt die Aufschrift „Gracen & Gracen“. Das ist jener Konzern, in dem Profit als Manager arbeitet – und den er um jeden Preis unter seine Kontrolle bringen will.

Profit ist ein absoluter Einzelgänger, der sich hinter wechselnden Masken versteckt. Er hat Wegbegleiter, aber keine Freunde. Dennoch gibt es einen Verbündeten: den Zuschauer. Profit bezieht ihn in seine Überlegungen ein, spricht sogar direkt in die Kamera und räsoniert mit der umfassenden Einsicht eines irren Genies über die geheimen Sehnsüchte seiner Mitmenschen, über Wünsche und Bedürfnisse, deren Erfüllung er sich selbst kategorisch versagt, um auch nicht die kleinste Blöße zu riskieren. Dank eines nachgerade teuflischen Einfühlungsvermögens beherrscht Profit sämtliche Personen seiner Umgebung, er manipuliert und dirigiert und steuert seine Intrigen wie ein Computerspiel – wiederholt symbolhaft visualisiert, indem der Fernsehbildschirm zur Benutzeroberfläche wird, auf der Profit die Reaktionen seiner Opfer nach Belieben abruft.

Diese scheint's aus Eis geschnitzte Inkarnation des Bösen bewegt sich fortwährend „Near Dark“, so wie der Held des gleichnamigen Vampirfilms. Adrian Pasdar spielte ihn 1987 und zog sich bald danach vorübergehend aus dem Showgeschäft zurück, lebte zeitweise in Berlin, dann in New York. Erst die Rolle des Jim Profit bewog ihn, seine Abstinenz aufzugeben. Mit gutem Grund, denn die von Serienveteran Stephen J. Cannell koproduzierte Meta-Soap geht inhaltlich wie formal um einiges hinaus über das, was die Gattung der dramatischen Serien ansonsten zu bieten hat. Nicht nur travestieren die Autoren das US- Wirtschaftsleben als bizarres Beieinander von Korruption, Triebhaftigkeit und schierem Aberwitz, voller Übermut wagen sie gar den Anschlag aufs eigene Medium: Profits Wahn wird erklärt durch seine traumatische Kindheit – der kleine Jim verbrachte die ersten Lebensjahre in einem Karton hockend, mit dem Fernsehprogramm als einzigem Zeitvertreib. Als Erwachsener sinniert er zum Thema Fernsehen: „Also ich mag es ganz und gar nicht. Aber ich gebe zu, daß es manchmal einen erzieherischen Wert haben kann.“ Zwar ist er ein Unhold sondergleichen – in diesem Fall aber hat er einfach recht. Harald Keller