Alle miteinander und jede für sich

■ Brillante Darstellung, glücklicher Autor: In Schwerin wurde „Drei Alte tanzen Tango“ von Einar Schleef uraufgeführt, sein zweites Stück über das Mißlingen

Der Schlager schmalzt, und ganz in Weiß steht sie strahlend im hellen Hoffnungslicht: Lotte, eine der drei alten Schachteln aus Sangerhausen. Um sie herum ihre schmallippigen und schandschnauzigen beiden Freundinnen, sie stecken das Kleid ab und die Hoffnungen niedriger: „Falls Herbert es sich anders überlegt, wird das Kleid in die Färberei gegeben..., kannst es auch im Sarg anziehen.“

Eine Auf- und Ausbruchssituation, mal wieder. Die Hochzeitsreise nach Moskau: Um sie ging es schon in Einar Schleefs vorhergehendem Stück, vom gleichen Regie- und Darstellerteam im Januar 1995 ebenfalls auf der Kammerbühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin uraufgeführt. Drei alte Frauen, eingesperrt in einer Kleinstadt hinterm Kyffhäuser, stillgestellt im DDR-Rentnerinnenalltag, nur noch mit Friedhofspflegearbeiten beschäftigt, so leben sie in „Totentrompeten“ für letzte Ausbruchsversuche hinein in ein eigenes Leben.

Immer nur raus wollen sie auch im neuen Stück „Drei Alte tanzen Tango (Totentrompeten 2)“, mit- und gegeneinander. Schleef benutzte für „Totentrompeten“ aus dem Jahre 1987 Motive aus seinem 1980 erschienenen Roman „Gertrud“. Dort scheiternde Aufbrüche gegen den Stillstand in festgefügter DDR, hier im neuen Stück die Suche heraus aus einer brüchig werdenden Gesellschaft.

Die drei Frauen helfen und streiten sich, glucken zusammen, alle miteinander und jede für sich. In „Totentrompeten“ war die Hochzeit gescheitert, war Lotte verstummt und in die Nervenklinik verschwunden. Stumm ist sie noch immer, doch Ute Kämpfer als Lotte lebt die hoffende Freude mit enorm intensiv-zurückhaltendem Mienenspiel. Dann aber wieder das Scheitern: Lotte geht verloren für eine lange Zeit, auf dem Weg zum Bräutigam, und Elly und Trude wittern schnell das Erbe, die Reise und viel Geld.

Einar Schleef hat ein zweites Stück über das Mißlingen geschrieben, ein sehr umfangreiches Stück. Regisseur Ernst M. Binder hat es kräftig gekürzt auf noch immer zweieinhalb Stunden Theaterzeit. Weggeschnitten ist das Stückfleisch, geblieben sind die Nerven und Sehnen. Die liegen nun bloß und zucken und zippeln. In monologischen Dialogen fließt ein Bewußtseins- und Haltungsstrom der alten Frauen in einer künstlichen Alltagssprache, oft in Kürzelsätzen, deren künstliche Dialektik sich nur schwer erschließt. Die Darstellerinnen geben den spröden Sätzen zwar eine aufgerauhte Lebendigkeit, doch die Inszenierung bebildert den Sprachfluß nicht, sondern stellt die Frauen auf leerer Bühne in existentiellen Denksituationen aus.

Allerdings: Das Darstellerinnentrio ist fulminant, neben Ute Kämpfer als Lotte, die schließlich wieder auftaucht und in den schrecklichen Schrei der Hoffnungslosigkeit ausbricht, gibt Lore Tappe, groß, ungelenk, schamlos die rotzig-liebevolle Trude, während Gretel Müller-Liebers als Elly die scharf konturierte Schandschnauze spielt. Das Spiel: ein Ereignis. Schleefs Sprache: voller Poesie und rauher Kraft.

Doch die Konzentration der Inszenierung auf die Reaktionen der Frauen auf gesellschaftliche Realität, die selbst nur noch als reizgebende Anspielungen übriggelassen werden, sie macht das Stück unnötig kompliziert. Realität kommt nur noch im Reflektionsfilter der Frauen vor. Leuna und die Russen, Beobachtung der Stasi beim Aktenverfeuern. Und unentwegt kämpfen die Frauen um ihre Beweglichkeit und ihren Paß, hartnäckig und erfolglos. Selbst auf die Landstraße wollen sie sich legen, um einen Westrentner kennenzulernen. Wenn Lotte wieder auftaucht, wird sie von ihren Freundinnen für deren letztlich ungültige Pässe geopfert. Lotte, vom Oberamtmann vor der verschlossenen Tür der beiden anderen vergewaltigt, sie trägt in ihrem Pelz die Schieberhoffnungen aus deutscher Geschichte und mehreren Jahrzehnten: uralte Geldscheine und neue Konstruktionspläne.

Während draußen die Menschen auf die Straße gehen, tanzen zwei Alte zwar einen Hoffnungstango, doch sie marschieren nicht mit beim Deutschlandlied auf der Sangerhausener Thälmann- Straße, der „gewesenen Hindenburg-Adolf-Hitler-Straße“. Ein kräftiger Text, ein kompliziertes Stück. Schauspielerisch brillant, doch nicht immer den Text wirklich erschließend, so präsentiert sich die Schweriner Uraufführung. Der glückstrahlende Autor allerdings wollte beim Applaus kaum mehr von der Bühne gehen. Hartmut Krug

„Drei Alte tanzen Tango“. Von Einar Schleef. Regie: Ernst M. Binder. Staatstheater Schwerin