Braunes Furnier, grobe Pixel

In der Neuen Szene Leipzig inszenierte Armin Petras „Life according to Agfa“ nach dem Film von Assi Dayan – ein Gesellschaftspanorama als Fotostory. Aber die Bezüge erfüllen sich auf Zelluloid (und auch da nur kurz)  ■ Von Petra Kohse

Warum eigentlich Agfa? Warum nicht Fuji oder Kodak? Es könnte an der speziellen Empfindlichkeit liegen, sagt mein Freund, der Fotograf. Die Firmen produzierten für jedes Land verschiedene Filme. Und vielleicht hätte es ja auch eine Bedeutung, daß Agfa eine deutsche Firma sei.

Vielleicht. In Assi Dayans Kinofilm „Life according to Agfa“ (1992) wird nachts in einer Tel Aviver Bar mit 1.200 Asa Schwarzweiß ohne Blitz fotografiert, das Programmheft zur Leipziger Bühnenfassung von Armin Petras und Phillip Stölzl betont die Empfindlichkeitsstufe explizit, und sicher ist es gut, sich in diesem Fall weiter an Details zu halten.

Denn betrachtete man das Ganze mit, sagen wir, 100 Asa, ließe sich lediglich feststellen, daß der 32jährige Armin Petras, Oberspielleiter am Theater Nordhausen, in der Neuen Szene Leipzig Dayans Film in einer gestrafften Fassung inszeniert hat. Unter loser Einbeziehung des Publikums, das an Tischen sitzt und Bier bekommt, mit Live-Musik und einigen selbstgedrehten Filmeinspielungen. Es ist nicht gerade langweilig, aber nur mäßig gespielt, es dauert zwei Stunden, und nach der Premiere sagte Herr Dayan zu dpa, es habe ihm gefallen.

Da ist aber noch mehr. Die Bar zum Beispiel, die Natascha von Steiger in der Nebenspielstätte des Leipziger Schauspiels aufgebaut hat, ist ungewöhnlich schäbig und verlassen. Im Film ist „Barby's“ In- Bar und Heimstatt zugleich. Man kann hier Prominente sehen, aber auch Geburtstag feiern, und regelmäßig kommt einer vorbei, der sich seinen Drink mit Bestecksortieren verdient.

Eine Bar, deren Besitzerin ein Verhältnis mit einem krebskranken, verheirateten Filmemacher hat und die aus Einsamkeit nachts Dumpfbacken mit nach Hause nimmt. Ein Ort, wo verhandelt, geheult und geliebt wird (im Klo!) und jeder am Revers ein Schicksal trägt. Genau die Art Bar eben, in der der lokale Fernsehreporter allnächtlich gewesen sein muß, und wenn er nicht kann, beauftragt er die Tresendame Liora, das Leben dort auf Agfa zu bezeugen.

Nicht so in Leipzig. Warum Liora (Rahel Ohm) überhaupt zum Fotoapparat greift, erfährt man nicht, und daß es für die Zeitung ist, würde man auch nicht glauben. Braunes Furnier, kaum Betrieb, eine verstaubte Fanta-Dose, auf der Tageskarte steht „Salat“. Dafür lagern Berge von Agfa-Schächtelchen unterm Tresen, und auf einem Fernsehschirm sieht man zwei Hände wie aus dem Maggi-Kochstudio, die die ganze Zeit über Gemüse schnippeln.

Der dazu passende, trashige Glam wohnt auf einer schmalen Bühne mit Leinwand, die rechtwinklig zur Bar aufgebaut ist. Grob gepixelte Stadtbilder flimmern, man sieht die nachgedrehte Szene, in der der Polizist Benny (Wilhelm Eilers) erfolglos Drogenhändler jagt, sieht ihn live die einsamkeitskranke Ricci (Susanne Buchenberger) einem schnellen Fick unterziehen und sieht, ganz am Anfang, die Barbesitzerin Daliah (Cornelia Heyse) mit irgendeinem Mann im Bett aufwachen. Auf der Leinwand. Und die Darsteller stehen auf der Bühne daneben und machen die entsprechenden Geräusche. Schließlich stellen sie sich sogar genau vor ihre filmischen Doubles, so in die Projektion eintauchend, Theaterrealität in Film überführend und umgekehrt.

Das, wahrscheinlich, hätte das Thema des Abends sein können. Nicht wirklich interessiert sich Petras für Dayans schöne und böse Geschichte. Für die vulgär-patriotischen Soldaten, die das Bargeschehen tyrannisieren, oder den arabischen Koch Samir (Guido Lambrecht), der von einem sephardischen Zuhälter (Jörg Dathe) attackiert wird. Das alles sind in dieser Inszenierung Vorabendchargen, und selbst Daliahs unglückliche Liebe zu Eli (Dieter Bellmann) bleibt peripher.

Das Spiel mit Film- und Theaterrealität aber läßt ahnen, was Petras an diesem Stoff gereizt haben könnte. Wo sich die Bezüge erfüllen, wenn Authentizität und Projektion verschmelzen, wird die fotografierende Liora zur nostalgischen Verwalterin eines Lebens, dem Agfa wenigstens zu ein bißchen Wirklichkeit verhilft. Dieses Motiv aber hat Petras nicht ausgestaltet. Er zeigt nicht die Graustufen von Kunstfiguren, sondern meist nur schlechten Realismus, womit er nicht nur Dayans Geschichte, sondern auch seine eigene Adaption denunziert.

Agfa 1.200 Asa Schwarzweiß erscheint für den deutschen Bedarf zu subtil und rückständig zugleich. Als melting pot des Schicksals spielen Bars hierzulande keine Rolle mehr, und Privates verweist nicht auf Gesellschaftliches. Wofür Dayan nichts kann und was Petras auch nicht auffängt, wenn er als Nachspiel ins Kasperletheater flieht: Nachdem die besoffenen Soldaten am frühen Morgen alle brutal erschossen haben, erheben der Jude Benny und der Araber Samir zwei Handpuppen, die sie („Habt ihr jetzt endlich euren Staat?“) wie am Kaffeehaustisch freundlich diskutieren lassen.

Auch daraus aber läßt sich keine Erkenntnis gewinnen. Es macht schon Sinn, daß es Agfa 1.200 Asa Schwarzweiß in Deutschland nicht gibt.

„Life according to Agfa“. Nach Assi Dayan. Regie: Armin Petras. Bühne: Natascha von Steiger. Schauspiel Leipzig, Neue Szene