Nicht auffallen, nicht provozieren – 50 Jahre lang

■ Die einst große Jüdische Gemeinde Rumäniens hält sich mit Forderungen nach Entschädigung zurück. Die jüngste antisemitische Hysterie liegt zwei Jahre zurück

Als die Jüdische Gemeinde Rumäniens im Sommer 1995 zum erstenmal einen Gesetzesentwurf zur Rückgabe ihres einst von den rumänischen Faschisten und Kommunisten konfiszierten Eigentums vorlegte, war eine Welle antisemitischer Reaktionen die Folge. Extremistische Parteien sprachen sich gegen eine Rückgabe aus. Unter gemäßigten Parteien und in den Medien herrschte ein Konsens, den der Chef der Demokratischen Partei und heutige Senatspräsident Petre Roman so ausdrückte: „Die Rückgabe jüdischen Eigentums ist eine sensible Angelegenheit. Wenn nicht auch andere religiöse Gemeinschaften ihr Eigentum zurückbekommen, dann kann das zu unerwünschten antisemitischen Reaktionen führen.“

Die Ignoranz, mit der in der Diskussion über die Opfer hinweggegangen wurde, zeigt eines: Die rumänische Gesellschaft hat sich bis heute nicht eingestanden, daß es in den vorkommunistischen Diktaturen ein speziell gegen Juden gerichtetes Enteignungsprogramm gegeben hatte. Und daß es einen Holocaust gegeben hatte. Einen Holocaust, der zwar vor dem Hintergrund des deutschen Faschismus stattfand, der aber weitgehend ohne deutsche Mitwirkung organisiert worden war.

Vor dem Krieg lebten in Rumänien 800.000 Juden. Während des Krieges kamen etwa 120.000 Juden um, die meisten von ihnen in Ghettos und Lagern im ukrainischen Transnistrien. Im Zuge der „Rumänisierung“ mußten alle Juden ihr Eigentum an den Staat abtreten, vom Bettlaken über Immobilien bis zu Fabriken. In Nordsiebenbürgen dagegen, das 1940 bis 1944 ungarisch besetzt war, fand unter deutscher Leitung eine Deportation von 130.000 Juden in deutsche Vernichtungslager statt.

Unter der kommunistischen Diktatur galt die rumänische Beteiligung am Judenmord als Tabu. Der Mord an den nordsiebenbürgischen Juden dagegen wurde jahrzehntelang propagandistisch ausgeschlachtet. Denn hier waren ja die Deutschen und die ungarischen Faschisten schuld gewesen. Unter den Kommunisten emigrierten fast alle Juden aus Rumänien. Ihre Immobilien mußten die meisten Emigranten dem Staat überlassen. Mitarbeiter des Geheimdienstes Securitate und anderer Behörden preßten aus den ausreisewilligen Juden privat heraus, was übriggeblieben war. Entschädigung oder Rückerstattung von jüdischem Eigentum gibt es bis heute nicht. Nicht für die Gemeinde, nicht für die noch 14.000 in Rumänien lebenden Juden, nicht für die Emigranten. Eine Verfolgtenrente erhalten die noch in Rumänien lebenden Holocaust-Überlebenden nicht, weder vom rumänischen Staat noch aus Deutschland. Die Vertreter der Jüdischen Gemeinde passen sich in der Entschädigungsdiskussion dem rumänischen Konsens an: Die Jüdische Gemeinde wünsche keine Extrabehandlung, sondern trete für eine Rückgabe von konfisziertem Eigentum an alle religiösen Gemeinschaften ein, heißt es dort. Die Vereinigung der Holocaust-Opfer wartet seit langem vergeblich auf einen Gesetzesentwurf zu Überlebendenrenten.

Auf antisemitische Tendenzen im postkommunistischen Rumänien reagieren die Gemeinde und viele Juden meist mit merkwürdigem Schweigen. Nicht auffallen, nicht provozieren, scheint das Motto zu lauten. Die Diktatur war unangenehm, aber es gab wenigstens keine kollektive Bedrohung. Im Bewußtsein vieler Juden änderte sich das nach 1989: Die verbreitete Ansicht, die Juden seien Schuld am Kommunismus; die Flut faschistischer Publikationen, die (bis 1996) regierende Koalition aus Altkommunisten, Ultranationalisten und Antisemiten – es erinnerte fatal an den Weg, der zum faschistischen Terror der „Eisernen Garde“ und zur Diktatur Antonescus geführt hatte.

So verwundert es kaum, daß die Jüdische Gemeinde auf die Frage nach der Rückgabe des jüdischen Eigentums fast allergisch reagiert. Einen Präzedenzfall für das, was eine solche Forderung auslöst, gab es bereits. Im Mai 1995 verabschiedete die damalige Regierungskoalition ein „Gesetz über die nationalisierten Häuser“, mit dem der faschistische und kommunistische Raub jüdischer und anderer Immobilien nachträglich legalisiert wurde.

Das israelische Parlament protestierte in einer scharfen Resolution gegen das Gesetz, mit dem nach seiner Schätzung die Rückgabe von etwa 100.000 ehemals jüdischen Immobilien unmöglich wurde. In Rumänien löste das in der Öffentlichkeit antisemitische Hysterie aus. Keno Verseck, Bukarest