Bonn verweigert Chinas Dissidenten die Einreise

■ Das deutsche Innenministerium will von internationaler Aktion nichts wissen

Berlin (taz) – Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an einer Aktion mehrerer Staaten zum Schutz chinesischer Dissidenten, die nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 nach Hongkong geflohen waren. Den chinesischen Regimegegnern droht Verfolgung, wenn die britische Kronkolonie am 1. Juli an China übergeben wird. Die Kolonialregierung konnte in den letzten Monaten mehrere Staaten bewegen, über 40 Dissidenten und ihre Familien aufzunehmen. Nach Angaben des US-Nachrichtenmagazins Time nehmen mindestens acht Länder Dissidenten auf: die USA, Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Österreich, Italien, Dänemark und Japan.

Ein Sprecher des für Asylfragen zuständigen Bundesinnenministeriums sagte auf Anfrage der taz: „Es hat keine offizielle Anfrage gegeben.“ Time-Korrespondent John Colmey, der als erster über die Aktion berichtet hatte, behauptete gestern gegenüber der „Deutschen Welle“, Deutschland sei gefragt worden, habe aber kein Interesse gezeigt. „Mir wurde gesagt, jedes Land sei mindestens einmal, höchstwahrscheinlich mehrfach in den letzten Monaten gefragt worden“, so Colmey. Auch ein Konsulatsmitarbeiter eines europäischen Landes in Hongkong, der nicht genannt werden wollte, sagte, er glaube, daß Deutschland gefragt worden sei.

Der Abgeordnete des Hongkonger Legislativrats und Sprecher der Menschenrechtsorganisation „Patriotische Allianz zur Unterstützung der demokratischen Bewegung in China“, Lee Cheuk- Yan, warf der Bundesregierung vor, einem Dissidenten die Aufnahme verweigert zu haben. Lee sagte, der Künstler sei im letzten August nach Hongkong geflohen und habe ein Land gesucht, das ihn aufnehme. Er wollte nach Deutschland, weil er zuvor von dort eine Einladung zur Ausstellung seiner Werke erhalten hatte. Das deutsche Konsulat habe sein Ersuchen jedoch abgelehnt.

Lees Organisation verhalf nach dem Massaker am Pekinger Tiananmen-Platz im Juni 1989 vielen Dissidenten zur Flucht. Etwa 500 konnten nach Hongkong fliehen und sind meist in andere Staaten weitergereist, vor allem in die USA und Frankreich. Laut Lee hat Deutschland 1989 nur vier Dissidenten aufgenommen, danach keine mehr. Laut Bundesinnenministerium haben 10.951 ChinesInnen von 1989 bis 1996 Asylanträge in Deutschland gestellt. Davon seien 959 anerkannt und 5.318 abgelehnt worden.

Rund 100 Dissidenten haben sich seit 1989 in Hongkong niedergelassen. „Es ist wichtig, daß diejenigen, die geschützt werden müssen, den notwendigen Schutz bekommen“, so Robin Munro vom Hongkonger Büro der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zur taz. Munro hält Berichte über die Aktion zum Schutz der Dissidenten für gefährlich. „Publizität kann leicht kontraproduktiv sein.“ Chinas Regierung könnte bei der Ausreise der Dissidenten ihr Gesicht verlieren und Gegenmaßnahmen ergreifen.

Aus wirtschaftlichen Interessen will keine Regierung Peking öffentlich brüskieren. Die stille Diplomatie ermöglicht jedoch auch Regierungen wie offenbar der deutschen, sich humanitären Verpflichtungen zu entziehen. Im Mai, wenn Bundeskanzler Kohl nach Hongkong reist, könnte das Thema zum letzten Mal angesprochen werden. Sven Hansen