Urlaub unter Raketen

Auf der Kanareninsel El Hierro plant die spanische Regierung Raketenanlagen für Satelliten. Das Prestigeprojekt gerät aber unter Beschuß  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Eine „sachliche Informationsveranstaltung des Komitees zur Entwicklung der Insel El Hierro“, der kleinsten und westlichsten der Kanaren, sollte es werden. Der Inselabgeordnete der konservativen Partido Popular im kanarischen Regionalparlament, Manuel Fernández, und sein sozialistischer Kollege Elijio Hernández wollten den 300 im Kino „La Frontera“ des kleinen Ortes Tigaday versammelten Herreños ein ganz besonderes Projekt schmackhaft machen: eine Startrampe für die Rakete Capricornio I und den Satelliten Minisat – beides Produkte made in Spain. Doch das Publikum wollte vom versprochenen wirtschaftlichen Segen nichts wissen und bedachte die Ausführungen der Politiker mit Pfiffen und Buhrufen.

Dabei sollte das Prestigeobjekt der spanischen Forschung ganz ruhig über die Bühne gehen, so jedenfalls die Pläne des dem Verteidigungsministerium unterstellten Nationalen Instituts für Weltraumtechnik (Inta), das seit Jahren strengstes Stillschweigen über das Bauvorhaben wahrte. Ende letzten Jahres ging das nicht länger.

Ein Posten im Haushalt der Madrider Regierung für 1997 rief die Umweltschützer auf den Plan. 40 Millionen Mark stehen dort für die Satellitenrampe auf den Kanarischen Inseln bereit. Als kurz darauf auch noch eine Studie bekannt wurde, in der das Inta zusammen mit der Regionalregierung in Las Palmas zwei Alternativstandorte auf El Hierro hatte untersuchen lassen, bekamen die seltsamen Aufschüttungen an der Westspitze der Insel – angeblich für eine Ananasplantage, obwohl es weit und breit kein Wasser gibt – plötzlich einen Sinn. 4.000 Menschen, über die Hälfte der Bevölkerung von El Hierro, gingen kurz nach Weihnachten auf die Straße. „Ein solches Projekt bedeutet das Aus für El Hierro“, beschreibt Joan Bellveser, einer der Sprecher der Bürgerinitiative, seine Befürchtungen. Durch den hochgiftigen Treibstoff würde die Atmosphäre vor allem mit Salzsäure und Aluminiumsalzen verseucht. Die Folge: saurer Regen, der die einzigartige Vegetation der Insel sowie die Meeresflora und -fauna gefährde.

„Die Bemühungen der letzten Jahrzehnte, einen für spanische Verhältnisse sanften Tourismus ohne die starke Beeinträchtigung der Umwelt aufzubauen, wären mit einem Schlag zunichte gemacht“, gibt Bellveser zu bedenken. Von einem möglichen Unfall auf der Abschußrampe ganz zu schweigen. Was dann passiert, zeigt das Beispiel der französischen Basis in Guayana. Dort explodierte am 4.Juni 1996 eine Ariane 5 in 3.400 Meter Höhe. Die umliegende Bevölkerung mußte wegen der giftigen Gase sofort evakuiert werden.

Die Umweltschützer auf El Hierro sind sich sicher, daß die geplante Abschußrampe nicht nur zivilen Zwecken dienen soll, wie offizielle Stellen immer wieder beteuern. Der neue spanische Satellit Minisat-11, siebenmal so schwer wie sein Vorgänger, soll mit optischem Gerät zur Beobachtung der Erde ausgerüstet werden. „Die Krisenregion Nordafrika ist gleich nebenan“, zieht Bellveser den naheliegenden Schluß.

Die Befürchtung, es handle sich bei der Abschußrampe für Capricornio insgeheim um ein militärisches Projekt, bekommt durch ein weiteres Bauvorhaben Aufschwung. Die vor zehn Jahren nach Protesten in den Schubladen verschwundenen Pläne für eine Radaranlage auf dem Malpaso, dem höchsten Berg der Insel, wurden jetzt vom Verteidigungsministerium in Madrid ebenfalls wieder hervorgekramt. Ähnliche Anlagen entlang der südspanischen Mittelmeerküste erhärten den Verdacht: Die Nato will ihre Südwestflanke besser sichern.

Die Proteste auf El Hierro zeigen erste Wirkung. Die kanarische Regierung hat die unliebsame Entscheidung über die Baugenehmigung für die 100 Millionen Mark teure Abschußrampe ans Regionalparlament weitergegeben. „Um der Entscheidung etwas nachzuhelfen, haben wir damit begonnen, bei den Urlaubern auf den verschiedenen Inseln Unterschriften zu sammeln“, sagt Joan Bellveser. Damit sollen die Abgeordneten der regierenden Coalición Canaria dort unter Druck gesetzt werden, wo es sie am meisten schmerzt: beim Geschäft mit Strand und Sonne, von dem die Inseln fast ausschließlich abhängen.