„Das sind Typen mit psychopathischen Zügen“

■ Brandenburgs stellvertretender Leiter des Verfassungsschutzes, Jörg Milbradt, über Einzeltäter in der Neonazi-Szene. Psychogramme liefern Aufschluß über Gefährlichkeit

taz: Herr Milbradt, trügt der Eindruck, daß Neonazis jetzt schneller auf Vertreter des Staates schießen?

Jörg Milbradt: Ich weigere mich, aus dem Fall D., der noch der Aufklärung harrt, weitergehende Schlüsse zu ziehen. Es trifft aber zu, daß unter Neonazis Sprüche gewechselt werden, daß man gegen den Staat Gewalt anwenden müsse. Oftmals ist das aber nur pure Aufschneiderei. Andererseits gibt es auch Einzeltäter, die bereit sind, schwere Verbrechen zu begehen. Solche schweren Verbrechen sind aber bislang nicht Programm oder Konzept der neonazistischen Szene.

Sind es Desperados?

Es sind Einzeltäter, die mit neonazistischer Ideologie vollgepumpt sind und sich in der Regel nicht mit ihren Gesinnungskameraden absprechen. Das sind nicht selten Typen mit psychopathischen Zügen und daher oftmals besonders aggressiv. Aber sie stellen nicht den Prototyp des Neonazis in Deutschland dar.

Ist für manchen Neonazi nach den Verboten ihrer Organisationen die letzte Hemmschwelle für Gewalttaten weggefallen?

Es trifft zwar zu, daß solche Organisationen ihre Mitglieder nicht zu unmittelbaren schweren Gewalttaten ermuntern. Daß sie sie aber zu zügeln vermögen halte ich wiederum für eine zu weitgehende Schlußfolgerung. Nehmen Sie den Fall des Thomas Lemke in Nordrhein-Westfalen, der vier Menschen auf dem Gewissen hat und der immerhin der zugelassenen Organisation HNG angehörte. Die HNG [„Hilfsorganisation Nationaler Gefangener“; die Red.] hat seine Taten nicht verhindern können.

Wie nimmt der Verfassungsschutz Einfluß?

Wir bemühen uns, bei denjenigen Aktivisten, die als besonders militant gelten, Psychogramme zu entwerfen, um eine Einschätzung ihrer Gefährlichkeit abgeben zu können. Wenn dann im Einzelfall erkannt wird, daß jemand nicht nur von blutrünstigen Taten träumt, sondern sie auch umsetzen will, dann müssen sich die Sicherheitsbehörden überlegen, wie sie präventiv aktiv werden. Einen solchen Fall hatten wir in Brandenburg allerdings noch nicht.

Haben Sie den Eindruck, daß unter Neonazis gehäuft Menschen mit starkem Realitätsverlust anzutreffen sind?

Man kann nicht sagen, daß es in der Neonazi-Szene erheblich mehr Psychopathen gibt als im Rest der Gesellschaft. Das Brisante ist nur, daß deren Aggressivität zusammen mit rechtsextremistischer Ideologie oder gar mit neonazistischen Wahnvorstellungen eine unheimliche Mischung darstellt. Interview: Severin Weiland