Wurde kranker Knacki nicht versorgt?

■ Neues aus Oslebshausen: Knacki erhebt schwere Vorwürfe gegen Ärzte / Zwei Insassen durchbrachen Gefängnismauer – Flucht nur durch Zufall verhindert / Anstaltsleitung schweigt

Die Kette der skandalösen Vorfälle, die sich angeblich in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen zugetragen haben sollen, reißt nicht ab: Dem Justizsenator liegt jetzt die Beschwerde eines Gefangenen vor, den die Ärzte – trotz bedenklichen Gesundheitszustandes – fünf Stunden lang nicht versorgt haben sollen. Erst als ein Justizvollzugsbeamter den Mann auf die Krankenstation des Knastes schleppte, reagierte die diensthabende Ärztin und rief den Rettungswagen.

Das Protokoll der Beschwerde: Am Abend des 9. Februar erleidet der Gefangene T., der an den Folgen einer Kopfschußverletzung leidet, gegen 22 Uhr einen Schwächeanfall. Sein Blutdruck ist auf 90/50 abgesunken. Über die Notrufanlage alarmiert er den Sanitätsbeamten. Der Beamte versorgt ihn mit Medikamenten. Doch am nächsten Morgen fühlt sich der Patient noch schlechter. Gegen 9.30 Uhr wird der ärztliche Dienst informiert. Ein Sanitätsbeamter kümmert sich um den Mann und setzt sich mit der Krankenstation in Verbindung. Nichts geschieht. Dem Patienten geht es zusehends schlechter. Immer wieder rufen die Beamten auf der Krankenstation an. Angeblich müssen sie sich wegen der dauernden Anrufe sogar Vorwürfe gefallen lassen. Gegen 14.30 klappt der Gefangene zusammen. Sein Zustand ist so schlecht, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten kann. Ein Beamter schleppt ihn auf die Krankenstation. Die Ärztin ruft sofort den Rettungswagen. Sein Blutdruck liegt angeblich bei 80/40. „Wenn die Beamten nicht reagiert hätten, wäre der Mann jetzt tot“, sagt ein Insasse.

Daß es auf der Krankenstation des Knastes mitunter zu Versorgungsengpässen kommen kann, streitet Hartmut Krieg, Abteilungsleiter für Strafvollzug, nicht ab. Zwei Ärzte arbeiten seinen Angaben zufolge derzeit auf der Krankenstation. Im April soll ein weiterer Arzt eingestellt werden. „Dann wird die Organisation noch einmal überprüft“, verspricht Krieg. Justiz-Staatsrat Michael Göbel bestätigt, daß die Beschwerde des Häftlings dem Justizressort vorliegt, er will sich allerdings nicht zu dem Vorfall äußern und verweist auf die Anstaltsleitung. Doch die gibt keine Stellungnahme ab – trotz mehrfacher Ankündigung.

Das gilt auch für die weiteren Vorwürfe, die jetzt bekanntgeworden sind: Schon im Dezember, also einen Monat vor dem spektakulären Ausbruch von vier Häftlingen, gab es einen Fluchtversuch. Nachts kratzten zwei Häftlinge in ihren Zellen den Zement aus der Gefängnismauer, die etwa einen halben Meter dick ist. Sie entfernten die Steine aus der Mauer und wollten durch das Loch ins Freie schlüpfen. Das ihnen die Flucht mißlang, ist dem Zufall zu verdanken: Einer der beiden Ausbrecher kroch als erster aus dem Loch und wartete stundenlang auf seinen Kumpel, der die Mauer noch nicht durchbrochen hatte. Ein Beamter entdeckte den treuen Knacki – und vereitelte den Ausbruch.

Dem Zufall war es offenbar auch zu verdanken, daß die Flucht der vier Häftlinge im Januar entdeckt wurde. Die Männer hatten eine Freizeitveranstaltung genutzt, um zu fliehen. Die Fahndung wurde erst mit erheblicher Verzögerung eingeleitet – warum soll jetzt eine Untersuchung klären. Wie aus Justizkreisen verlautete, soll nicht etwa – wie offiziell gemeldet – der Betreuer die Flucht bemerkt haben, sondern ein Häftling. Nach dem Alarm verstrichen etliche Minuten, bevor ein Beamter ins Schulgebäude kam, um sich von dem Ausbruch zu überzeugen.

Kerstin Schneider