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■ VorschlagMichael Talke inszeniert „Ums nackte Leben“ im Prater

Hier sitzen alle in der ersten Reihe, und jeder hat eine ganze Bretterwand vorm Kopf. Eine Stimme liest aus Horace McCoys „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“. Dann öffnet ein gedrungener Entertainer Luken in dem riesigen Brettergeviert. Die Menschen darin sind ganz nah dran am Publikum und doch so weit weg wie Zootiere oder Gladiatoren. Drei Paare, die Frauen in aufgeplusterten Tüllröcken, die Herren in Hemdsärmeln. In den dreißiger Jahren ertrugen manche Paare die Torturen von drei Wochen Marathontanz, um einen Gewinn zu ergattern.

Foxtrott, Tango, Wiener Walzer – sie tanzen „Ums nackte Leben“. Heute ist der 14. Tag, aber die Kandidaten können noch lächeln: „Ich bin die Nummer 69, und ich freu mich super, daß ihr alle hier seid!“ Der junge Mann, der sich so federnd aggressiv bewegt, träumt von der Südsee. Seine Partnerin, die süße Nummer 40 (Kathrin Angerer), will nach Hollywood. Mit kindlich brüchiger Stimme singt sie einen Schlager von Alexandra: „Und mir alleine bleibt das Träumen ...“ Palmen im Sonnenuntergang, traurige Abziehbilder von Angestellten-Tagträumen, pflastern die Innenseite des Bretterkäfigs. Sobald die Tänzer abschlaffen, schwillt die Rummelplatzmusik (an der Hammondorgel: Sir Henry) zu voller Lautstärke an: „Stimmung! Ententanz!“

Der Tausch der Menschenwürde gegen das große Geld findet heute im Fernsehen statt. Weil das auf der Hand liegt, sind die Anspielungen wohldosiert. Wie die unseligen Kandidaten der „Hunderttausend Mark Show“ raffen die Tänzer bunte Papierkügelchen vom Boden. „Das wäre ihr Preis gewesen!“ jubelt der Moderator den Zweitplazierten zu. Ewige Dritte sind zwei alte Schachteln: die mannstolle Jungfer und die rüstige Rentnerin, die sich das Geld für ihre dritten Zähne ertanzen will. Weil Regisseur Michael Talke kein Erbarmen mit diesen Figuren hat, bleiben sie Klischee. Anders als der scheue Tolpatsch (Bruno Cathomas), der in den Tanzpausen mit schwer rasselndem Atem ungeheuerliche Hackfleisch-Perversionen preisgibt. Natürlich geraten die Paare irgendwann in eine hysterisch haßvolle Prügelei, kratzen und spucken und fallen sich doch wieder in seliger Fernsehharmonie in die Arme. Ein Höhepunkt, nach dem selbst eine bewaffnete Irre die Spannung nicht mehr hochtreiben kann. Aber jeder Marathon hat Längen, und dieser hier ist alle Geduld wert. Miriam Hoffmeyer

Heute und am 1.3., jeweils 20 Uhr im Prater, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg

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