Ein Lurch für Lanzelot

Komödienstadl, Lehrstück und Augsburger Puppenkiste: Tom Kühnel und Robert Schuster inszenierten im Maxim Gorki Theater die Märchenkomödie „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz  ■ Von Petra Kohse

Die große Katze ist schön. Langes Fell, kluger Blick. Ihr Maul reißt sie beim Sprechen allerdings immer ein bißchen weit auf, dann blitzen fieslich die Fangzähne. Auch die sanfte Ente ist schön, und das Kalb möchte man in seiner ganzen rührenden Staksigkeit sofort adoptieren. Ehemalige Stofftiermütter kommen also fraglos auf ihre Kosten in der neuesten Inszenierung des Regieduos Tom Kühnel und Robert Schuster im Maxim Gorki Theater.

Freunde der politischen Parabel ebenfalls. „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz (1896–1958) steht auf dem Programm, eine Märchenkomödie aus dem Jahr 1943, in der der russisch-sowjetische Schauspieler und Dramatiker Motive aus der Artussage und dem Nibelungenlied zu einer humanistischen und gesellschaftskritischen Geschichte verarbeitete. Ein Land, ein Drache, eine Jungfrau, ein Ritter – man ahnt, was kommt. Das Besondere aber ist, wie es kommt.

Das Volk nämlich hat sich daran gewöhnt, seinen Drachen zu lieben. Hat er nicht mit seinem Atem die Sümpfe trockengelegt, fruchtbares Land gegeben und Krankheiten ausgerottet? Die paar tausend Kühe im Jahr, die er dafür will, nun ja. Und das jährliche Jungfrauenopfer könnte man auch als Hochzeit betrachten. Das Volk also ist verblendet und will den fahrenden Ritter Lanzelot die schöne Elsa gar nicht retten lassen. Schließlich kommt es aber doch zum Kampf, und mit Hilfe der intelligenten Tiere (Katze, Ente, Kalb), die ihm ein Tarnelixier mixen, gelingt es Lanzelot, dem Drachen alle drei seiner schrecklichen Köpfe abzuschlagen.

Perfiderweise sieht das Volk zwar die Köpfe, nicht aber den selbst halbtoten, unsichtbaren Ritter. Und weil der Stadtvogt den zuckenden Köpfen den letzten Tritt versetzt, wird nun ausgerechnet er, der Oberdevotling, als Drachentöter gefeiert. Und damit als Befreier. Denn die geänderten Verhältnisse lassen dem Volk seine vorige Unterdrückung umstandslos bewußt werden. Nicht aber das Prinzip der Unterdrückung. Wie zuvor der Drache läßt sich nun der Vogt verehren und giert nach Elsa. Auftritt abermals Lanzelot, von den Tieren gesundgepflegt. Alle schämen sich, küren ihn als neuen Vogt und bitten: „Du mußt Geduld mit uns haben.“

Legislative und Exekutive jedweden totalitären Systems werden hier charmant angeklagt, und das gute Ende gibt einem wenig Hoffnung. Denn so ehrenhaft Lanzelot als fahrender Ritter sein mag – als Funktionsträger wird auch er nur so demokratisch sein können, wie sein angstbuckliges Volk es ihm erlaubt.

Auf das Volk in der Wende der Zeiten nun zielt die Inszenierung von Kühnel/Schuster besonders. Maskenhaft geschminkt gleichen die Darsteller den kleinen Puppen, die oberhalb der Schachtelbühne herumwackeln und das Geschehen unten zu kommentieren scheinen – wie, läßt sich nicht so richtig feststellen, weil man erstens entweder oben oder unten gucken kann und zweitens das Gepussel mit den Puppen wirklich zuviel ist in der auch sonst detailreichen, zauberspielhaften Inszenierung. Das wäre die Schwachstelle, jetzt zu den Vorzügen.

Die puppenhaft geschminkten Darsteller des Volks sind originell gewandet in Kuhfelle verschiedenster Färbung und Fasson und spielen die untertänigen Untertanen nicht labil und geknechtet, sondern mit infam-handfester, bäuerlich selbstbewußter Komik. Allen voran Hansjürgen Hürrig als Vogt, als sich in seiner Loyalität zum Drachen so lustig divenhaft geriert wie er sich in seiner späteren Drachentöterehre dummdreist aalt. Susanne Böwe als holde Elsa hingegen ist von so üppiger Zartheit und aufrichtiger Geistlosigkeit, daß man ihr im größeren Stile Maiglöckchen zu Füßen legen möchte.

Dazwischen nun immerzu die überlebensgroßen Tiere, die von schwarz gewandeten Puppenspielern wundervoll geführt und gesprochen werden, so daß das Ganze zu einer Mischung von Komödienstadl, Lehrstück und Augsburger Puppenkiste gerät.

Etwas mühsam allerdings fand ich die Darstellung des Drachens selbst. In dreierlei Puppengestalt läßt Christian Weise ihn auftreten: als Elegantlurch, der sich langwierig zum größeren Böslurch verwandelt, und schließlich als Babylurch. Wie eine grüne Putte fliegt dieser durch die Luft und versucht den wackeren Lanzelot (Ulrich Anschütz) schon vor dem eigentlichen Kampf auszutricksen – Mars attacks.

Tom Kühnel und Robert Schuster, die schon als Schüler der Ernst-Busch-Schule im Maxim Gorki Theater „Weihnachten bei Ivanovs“ mit Puppen inszenierten und die in der nächsten Spielzeit – wie man hört – ans Schauspiel Frankfurt gehen, zeigen eine leichte, aber nicht sorglose, eine verträumte, aber nicht kindliche Arbeit. An den Ursachen des Untertanentums sind sie nicht interessiert, wohl aber an dessen Symptomen. Daß etwa Monika Lennartz, Ursula Werner und Monika Hetterle als bezopfte Kuhfell-Maiden geradewegs einem richtigen Volksstück entstammen könnten, gibt der Sache Gehalt.

„Der Drache“. Von Jewgeni Schwarz. Regie: Tom Kühnel und Robert Schuster. Puppen: Suse Wächter. Bühne: Jan Pappelbaum. Nächste Aufführungen am 1. und 2. 3., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Unter den Linden