Fernsehen von vorgestern

■ Hinter den Kulissen des Kinderkanals rumort es bereits: Während das ZDF seine Schätzchen zuliefert, beschränkt sich die ARD auf gut abgehangene Serien

Die Hochzeitsglocken sind kaum verklungen, da blättert in der Ehe zwischen ARD und ZDF schon der erste Lack ab. Dabei macht ihr gemeinsames Kind bereits Riesensprünge: Der Kinderkanal erzielte auf Anhieb zweistellige Marktanteile bei der Zielgruppe der Drei- bis Dreizehnjährigen und überholte aus dem Stand die Konkurrenz von Nickelodeon. Offenbar kommt das Programm mit seinem Fernsehen von vorgestern vor allem bei Eltern um die dreißig gut an: Sie feiern ein nostalgisches Wiedersehen mit den Heldinnen und Helden ihrer Kindheit, mit Pipi Langstrumpf, Heidi und Michel als Lönneberga, mit der Maus und den Figuren aus der Augsburger Puppenkiste und der Sesamstraße. Prompt lassen selbst fernsehkritische Eltern ihre Kinder „fernsehen bis zur Bewußtlosigkeit“, so ein ARD-Mitarbeiter.

Trotzdem hat Geschäftsführer Ernst Geyer nach nicht einmal sechs Sendewochen das Handtuch geworfen. Offiziell schweigt man sich beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) in Erfurt, wo der Kinderkanal angesiedelt ist, über die Hintergründe aus. Lapidar bestätigt ARD-Sprecherin Susanne E. Knoll den Rücktritt: Bei einem „erstklassigen Mann“ wie Geyer sei eine solche Kündigung ein „normaler Vorgang“.

Ganz so normal ging Geyers Kündigung dann aber doch nicht vonstatten: Dem Ex-Kirch-Mann wurde verschiedentlich vorgehalten, er studiere in Kirchs Auftrag die öffentlich-rechtliche Einkaufspolitik von Kinderprogrammen. Vorsichtige verweigerten ihm daher die Einsicht in wichtige Unterlagen. Diese Kritiker sehen sich nach Geyers Rückkehr zu Kirch nun bestätigt.

Auch in anderer Weise ist Geyers Rücktritt eher eine Kapitulation: Schon kurz nach dem Start des Kinderkanals hatte das ZDF intern eine moderat formulierte, aber deutliche Beschwerde eingelegt. Während nämlich die Mainzer dem Kinderkanal beispielsweise mit Filmen aus der ZDF-Reihe „Achterbahn“ attraktive Vorpremieren ermöglichten, hielt sich die ARD in dieser Hinsicht völlig zurück.

Gert K. Müntefering, beim WDR Leiter des Bereichs Tagesprogramme und einer der Wegbereiter des Kinderkanals, kann dieses Versäumnis jedoch erklären: „Die ARD muß sich erst noch organisieren.“ Es habe einfach keine Programme gegeben, die man als Premiere auf dem Kinderkanal hätte zeigen können. Die ARD pflege eine andere Programmpolitik als das ZDF; es gebe eben nur „ein paar Marken und keine breite Kinderprogrammfläche“.

Außerdem dürfte für Geyers Rücktritt die Weigerung der ARD-Intendanten mitentscheidend gewesen sein, die ARD-Gelder für den Kinderkanal zu bündeln und in Erfurt verwalten zu lassen. Das jedoch, so Müntefering, habe der Geschäftsführer vorher gewußt. Daher hat er wenig Verständnis für den Rücktritt: „Die ARD ist eben, wie sie ist; auf dem Instrument muß man spielen können.“ Natürlich bedauert Müntefering Geyers Rücktritt. Mit Opfern habe er zwar gerechnet, nicht jedoch damit, daß sich „gleich der Anführer ins eigene Schwert stürzt“.

Trotzdem ist Geyers Schritt nach Ansicht eines ARD-Funktionärs ein Beispiel für „das schreckliche Management der ARD“; Geyer habe offenbar „die Notbremse gezogen“, wohlwissend natürlich, daß selbst die Archive von ARD und ZDF nicht unerschöpflich seien. Wenn man nicht nach Ostern wieder von vorn anfangen und die gleichen Programme wie im ersten Quartal ausstrahlen wolle, müßten dringend neue Produktionen her.

Auch beim ZDF ist man sich im klaren darüber, daß der gute Start des Kinderkanals nicht zuletzt eine Glücksfrage gewesen ist. Schließlich ist der Erfolg auch den Tatsachen zu verdanken, daß man mit dem Kabelplatz von Nickelodeon die Zielgruppe gleich dazubekommen hat; der kalte Winter, ein wohlwollendes Presseecho sowie die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dürften nicht unerheblich zu den hohen Marktanteilen beigetragen haben. Susanne Müller, Leiterin einer der beiden ZDF-Kinderredaktionen, hält sich zurück, wenn sie die Situation beim Kinderkanal kommentiert. Niemand will schließlich Porzellan zerschmeißen, das noch gebraucht wird: „Wir haben großes Glück gehabt und uns einen Anfangserfolg erarbeitet. Um sich den zu erhalten, muß man sich sehr für den Kanal engagieren.“ Tilman P. Gangloff