Und weggetreten!

Auf dem 13. Naturfilmfestival in Bad Dürkheim demonstrierten die meisten Filme Pathos und Pädagogik mit dem Rohrstock  ■ Von Andreas Seltzer

Vom Goldenen Bären zum Goldenen Auerhahn: Während in Berlin bildversessene Kinogeher sich beim Filmfestival rote Augen guckten, trafen sich Tier- und Pflanzenfreunde im Pfalz-Museum für Naturkunde, um die Naturbetrachtungen von Filmamateuren anzuschauen. 38 Video- und Schmalfilmarbeiten waren eingereicht worden, 22 hatte man in der Vorjurierung ausgesiebt. Nun galt es, den Rest für die goldene Trophäe, den ersten bis dritten Rang, und die lobenden Erwähnungen zu bewerten.

Ihre Titel, „Der Dachs und sein Lebensraum“ etwa oder „Trinkwasser aus dem Schwarzwald“, warnten schon vor jener bleiernen Müdigkeit, die einen regelmäßig bei Filmvorführungen im Biologieunterricht überfiel.

Und tatsächlich wurde auch hier Natur als pädagogisches Feld gezeigt, in dem Tiere und Pflanzen bloß Demonstrationsmaterial für immer wieder ähnliche rhetorische Formeln sind. Naturbeobachtung, das ist meist der starre Blick aufs Fernsehtierfilmbild, und die meisten Kommentare enden so brav wie die vom seligen Grzimek mit einem Appell für den Naturschutz.

Mit einer Ausnahme. Das war der tagebuchartig erzählte Film „Eingenistet“ von Irmgard und Werner Winkler aus Berlin-Lankwitz, in dem über den Nestbau und die Brutpflege eines Kohlmeisenpärchens berichtet wird. Da, im Lüftungsschacht des Nachbarhauses, unter dem Küchenfenster von Frau Schröder, ständig belauert von den Katzen der Umgebung, zeigten sich jene kleinen Wunder, die die anderen Filme vergeblich wiederzugeben suchten: die Fütterungen etwa, bei denen die Eltern kurz vorm Flüggewerden der Jungen viele hundert Mal am Tag Nahrung bringen müssen; oder die Sorgfalt, mit der sie das Nest reinhalten und den Kot der Küken nach draußen tragen; oder die ersten

Flugversuche, bei denen unser Mitgefühl den Ängstlichen galt, die den Start ins selbständige Leben noch ein wenig hinauszögerten, die sich nah am Ausschlupf an die Mauer klammerten und mit den Flügeln flatterten. Das waren vielleicht schon jene Todeskandidaten, die mit den vielen anderen ihrer Art den nächsten Winter nicht überleben werden ...

Hier ging es einmal nicht um die Sollerfüllung des Tierfilmstandards und des pädagogisch Wertvollen, sondern, naiv und manchmal absichtslos verwackelt, nur um die Freude am Entdecken.

„Eingenistet“ ließ hoffen, daß jemand ähnlich fesselnd über Küchenschaben, Kleidermotten und Silberfische berichten würde. Vergebliche Hoffnung. Naturschönheit muß, so scheint es, stets kommentiert werden, sonst könnte sie den Betrachter vielleicht überwältigen und ihn sprachlos machen. Fehlte einmal die Erklärung, dann sorgte Musik für die nötige Erhebung. Beinahe alle Filmer holten sich

hier aus dem New-Age-Fundus etwas, das ihre Bilder weihen sollte. Vogelflüge wurden von Harfen- oder Sitarklängen begleitet, Gräser wiegten sich im Vibrato tibetanischer Klangschalen, Herbstwald- und Winterimpressionen wurden von Streichquartetten mit Abschiedsstimmung umflort.

Das Pathos und der Pädagogismus dieser Filme ließ an die Traditionen jener Errungenschaft des deutschen Filmschaffens denken, die einst der Studienrat Fritz Gutmann im „Kulturfilmbuch“ von E. Beyfuss und A. Kossowsky (1924) so benannte: „Die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Spielfilms ist zur Zeit noch längst nicht unbestritten. Anders steht es mit unseren Kulturfilmen: Durch das hohe Niveau unserer wissenschaftlichen Bildung sind alle Vorbedingungen erfüllt, daß wir auf diesem Gebiet das Ausland auf der ganzen Linie schlagen. Das ist unseres Erachtens eine der großen Missionen des deutschen Kulturfilms.“ Welches Ausland da gemeint ist, machte Beyfuss deutlich: „So verhängnisvoll der große Weltkrieg auch in seinen Folgen für die wirtschaftliche und politische Lage in Deutschland war, für den Lehrfilm war er Reformer und Schöpfer zugleich. Er hat mit einem Schlage die im Ausland wurzelnde Organisation des Lehrfilm-Verleihs in Deutschland vernichtet. Diese auf die Firmen Pathé und Gaumont zurückzuführende Organisation ist durch den Krieg gebrochen und wird nicht wiederkehren...“

Die deutsche Lehrfilmbewegung war freilich auch schon zuvor rührig gewesen. Die preußische Regierung hatte 1910 einen Erlaß über die Gründung von Dorfkinos herausgegeben und dabei betont, daß diese „unter Ausschaltung des großstädtischen Schundfilms der wahren Volksbildung und der fachlichen Belehrung weiter Kreise dienen sollten...“

So saß man also im Auditorium des Pfalz-Museums, das an einen Dorfkinosaal erinnerte, und sah Filme, die sich immer noch an jene wahre Volksbildung zu halten schienen. Ob die Zuschauer beim Unterwasserfilm von Elfi und Manfred Klein („Leben im Untergrund“) gewarnt werden, sich vom zauberischen Bild eines Korallenriffs nicht blenden zu lassen, weil auch da die „ehernen Gesetze der Evolution, das ,fressen und gefressen werden‘“, wirksam seien, oder ob ihnen in Heribert Schmidts „Bergpfad“ der Gipfelsturm als Leistungsmetapher und Vorbild für den Berufsalltag verklärt wird, überall deutete und mahnte es, als ginge es darum, dem Publikum den rechten Weg ins Leben zu weisen.

Die Bilder waren in ihrer langweiligen Perfektion wie für den Zeigestock gemacht: immer dieselben Blickwinkel, schon tausendfach reproduziert, aber hier noch mal von den Hobbyisten mit dem Signum des Eigenen versehen. Die Texte, das waren eigentlich Aktenvermerke, denen es darum ging, in der Großbehörde Natur die Verwaltungsvorgänge von Leben und Vergehen zu kontrollieren. Leere Bilder, leere Worte: „Schmetterlinge haben schon immer die Phantasie der Menschen beflügelt“ (Florent van Opstal in „Von Gentianen und anderen Bläulingen“), Adler sind „stolz und majestätisch“ und „Herrscher der Lüfte“ (Antonello Chiaramida in „Le Stagioni dei Rapaci“), Libellen sind „wahre Flugkünstler und die ungekrönten Könige unter den Insekten“ (Walter Neudecker in „Uferzone“), und die „Graureiher gehören zu den schönsten und elegantesten Erscheinungen unserer Vogelwelt“ (Helmut Hubeler in „Graureiher“)...

Den deutschen Wald muß man sich wie ein „Mehrfamilienhaus“ vorstellen (Susanne Hoffmann in „Die Vogelwelt des Waldes“), in dem Mutter und Vater Bartkauz, die Amsels, Spechts und Nachtigalls miteinander leben und ihren Nachwuchs in jene Waldschule schicken, von der das immer noch vielgekaufte Kinderbilderbuch von Adolf Holst und Else Wenz- Viätor erzählt und in der der Lehrer Rabe mit dem Rohrstock für Zucht und Ordnung sorgt. Und wenn der Filmer mal die Heimatscholle verläßt und einen Ausflug ins Exotische macht, nach Afrika etwa, ins Naturreservat, das selbstverständlich ein „Garten Eden“ ist (Hans Dieter Kämmerer in „Okavango – Wildlife hautnah“), dann wird der Regisseur zum Registrator, der die Tiere zwecks Filmbilderfassung am liebsten Spalier stehen lassen und Anwesenheitslisten führen möchte. Panther, Gnu, Gazelle? Namen, bitte! Danke. Rührt euch – und weggetreten!

Am 19. April, 10 Uhr, werden in der Fritz-Wunderlich-Halle in Bad Dürkheim-Kusel die Preise verliehen