Die PKK ist eine Diktatur Öcalans

Ein Gründungsmitglied der kurdischen PKK entlarvt in einem gestern vorgestellten Buch dessen Führer Öcalan als „stalinistischen Despoten“. Günter Wallraff hilft kurdischem Autor  ■ Aus Köln Walter Jakobs

Für den Menschenrechtsaktivisten und Journalisten Rupert Neudeck ist es ein „bis zum Zerbersten eindrucksvolles“ Dokument. Die Rede ist von einem Buch über das Innenleben der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, das gestern an einem geheimen Ort in Köln einer kleinen Schar von Journalisten vorgestellt wurde. Erstmals wird darin im Detail und in deutscher Sprache das despotische Regime des PKK-Führers Abdullah Öcalan von einem Insider nachgezeichnet.

Der Autor Selim Cürükkaya weiß, wovon er spricht. In den 70er Jahren zählte er zu den Gründungsmitgliedern der PKK. Von 1980 bis 1991 saß er in türkischen Gefängnissen. Diese Leidenszeit in den Fängen der folternden türkischen Sicherheitsorgane schildert der Autor ebenso eindringlich wie die Jahre danach im zentralen Ausbildungslager der PKK, im libanesischen Bekaa-Tal.

Mitte des Jahres 1993 setzte sich der 43jährige, der nach wie vor davon überzeugt ist, daß „das kurdische Volk mit den von ihm frei gewählten Waffen die Unabhängigkeit erkämpfen wird“, aus dem Lager ab. „Ich bin geflohen, um nicht in die Lage der Generäle von Stalin zu geraten. Ich wollte zum Tode meiner Freunde, die schuldlos ermordet wurden, nicht schweigen.“ Bis 1985 war er selbst ein Anhänger Stalins. Das dessen despotischer Führungsstil von Öcalan weitgehend kopiert wurde und die gesamte PKK beherrschte, erfuhr Cürükkaya im Libanon dann aus nächster Nähe. 1994 veröffentlichte der Schriftsteller und Journalist seine bitteren Wahrheiten in einem kleinen schweizerischen Verlag in türkischer Sprache. Seitdem wird er in PKK-Veröffentlichungen als „Verräter“ gebrandmarkt, den man „in Spucke ertränken“ müsse.

Daß seine beklemmende Analyse unter dem Titel „PKK. Die Diktatur des Abdullah Öcalan“ jetzt vom Fischer-Verlag herausgegeben wurde, geht wesentlich auf das Engagement des Kölner Schriftstellers Günter Wallraff zurück. Weil sein kurdischer Freund wegen einer positiven Erwähnung in dem Buch um sein Leben fürchtete, so Wallraff gestern, „bin ich auf Selim Cürükkaya aufmerksam geworden“. Seitdem setzt sich Wallraff für den bedrohten Berufskollegen ein. Dabei geht es ihm auch darum, das Schweigen in weiten Teilen der Linken über die Zustände in der PKK zu durchbrechen. Hinter vorgehaltener Hand bekomme er seit langem „von vielen kurdischen Intellektuellen zu hören, lieber kein freies Kurdistan als eines unter der Alleinherrschaft dieser PKK“. Auf der Basis des von Öcalan verlangten „Kadavergehorsams“ werde sich „keine wirklich freie kurdische Gesellschaft aufbauen lassen“. Genauso sieht das Cürükkaya, der sich vor dem türkischen Geheimdienst ebenso versteckt wie vor den PKK-Häschern. Durch eine beispiellose Mordserie gegen parteiinterne Kritiker hat der PKK-Chef seit Mitte der 80er Jahre seine Macht abgesichert. Allein 50 Gründungsmitglieder sind Cürükkaya zufolge umgebracht worden. Es begann mit Cetin Güngor, der nach Meinungsverschiedenheiten mit Öcalan 1985 nach Schweden floh und noch im gleichen Jahr in Stockholm einem Attentat zum Opfer fiel. Offiziell hat die PKK diesen und weitere elf Morde von Öcalan-Kritikern allein in Europa zwar immer bestritten. Aber in ihren Publikationen war nach jedem Attentat von den „verdienten Söhnen des Volkes“ die Rede, die „Verräter“ an der kurdischen Sache hingerichtet hätten.

Daß der Öcalan-Terror nicht nur die Führungskader der PKK traf, sondern auch unzählige PKK- Kämpfer, konnte Cürükkaya den „Gebietsberichten“ und „Funksprüchen“ während seiner Zeit im Libanon entnehmen. Allein im Jahr 1992 seien 141 von den damals etwa 20.000 aktiven Kämpfern „wegen Abweichung von der Linie der Führung standrechtlich erschossen“ worden. Für Öcalan selbst war nur derjenige ein Revolutionär, „der die Linie der Führung richtig erkennt, anwendet, sich mit dem Leben an den Führer bindet und alle anderen gefühlsmäßigen, menschlichen und gesellschaftlichen Bindungen aufgibt“.

Ende 1996 hat der PKK-Chef im persönlichen Gespräch mit Günter Wallraff an einem geheimen Ort in Syrien jegliche Mordpläne gegen den Autor bestritten. „Es gibt jetzt ganz gewiß kein Todesurteil mehr.“ Cürükkaya werde von ihm sogar wieder aufgenommen, wenn er „Selbstkritik“ übe. Doch dann folgte beim Aschied sogleich eine neue Drohung: „Wenn nicht, kann ich auch nicht dafür, wenn ein Unfall passiert.“