Kohls Winkelzüge

■ Der Kanzler bringt FDP und Ost-CDU auf Kurs

Ist die Götterdämmerung schon wieder abgesagt? Kaum waren sich die Meinungsmacher der Republik einig, daß Kohls Ende nun aber wirklich absehbar sei, wendet sich das Blatt bereits wieder. Nach einer für den Kanzler üblen Woche, in der ihm Teile seine eigenen Partei die Zähne gezeigt hatten, pendelt sich nun alles wieder ein. Erst stimmen die Abgeordneten aus dem Osten im Streit um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nach erfolgreichem Aufstand einem windigen Kompromiß zu, dann schwenkte die FDP ein. An ihnen, so ließ Fraktionschef Solms die Sozialausschüßler der Union wissen, werde eine paritätische, also von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen bezahlte Krankenversicherung auch zukünftig nicht scheitern. Damit dürfte der Seehofer-Vorstoß in der Union erledigt sein und Blüm, Geißler und Co. bereit zu Zugeständnissen an anderer Stelle.

Das Ganze passiert nicht zufällig im Umfeld der Gipfelgespräche von Koalition und SPD, einem trefflichen Disziplinierungsinstrument Kohls gegenüber der FDP. Die riesigen Anstrengungen zum Wohle des Vaterlands und jedes einzelnen Arbeitslosen werden mit einigen Kompromissen zwischen SPD und Union enden, denen die FDP zähneknirschend zustimmen wird, und wenn es denn soweit ist, wird Kohl seine erneute Kandidatur für die Wahlen im kommenden Jahr erklären.

Gäbe es nicht wirklich große Probleme, stünden hinter den Phrasen, die in Bonn über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedroschen werden, nicht immer mehr Menschen, denen langsam der Boden unter den Füßen weggezogen wird – man könnte sich kopfschüttelnd abwenden von dem Theater, das immer wieder rechtzeitig vor den Wahlen aufgeführt wird und bei dem die SPD seit drei Legislaturperioden den tragischen Verlierer spielt.

Wann wird die SPD endlich begreifen, daß das System Kohl so nicht zu knacken ist? Die Stunde der Opposition erschöpft sich in Kanzlerrunden um Kilometerpauschalen. Von inhaltlichen und personellen Alternativen keine Spur. Solange man erst das Kleingedruckte lesen muß, um zu wissen, was Schröder eigentlich von Kohl unterscheidet, wird es auch keinen Regierungswechsel geben. Solange wird der Status quo weiter verwaltet. Jürgen Gottschlich

Bericht Seite 2