Protest enthebt von Schulpflicht nicht

■ Der Aufruf zum Unterrichtsboykott fand in Hamburg nicht überall Anklang

Die Aufforderung türkischer Vereine, am gestrigen Donnerstag die Schulen wegen der geplanten Visumpflicht für Kinder zu boykottieren, ist in den Hamburger Schulen auf unterschiedliche Reaktionen gestoßen.

In vielen Schulen herrschte Alltag – entweder, weil LehrerInnen und SchülerInnen keinen Handlungsbedarf sahen, oder weil man sich an die Weisung der Schulbehörde hielt. Der stellvertretende Landesschulrat, Reiner Schmitz, hatte sämtliche Schulleitungen in einem Schreiben aufgefordert, den Boykott nicht zu unterstützen. SchülerInnen, die fehlten, sollten unentschuldigt in das Klassenbuch eingetragen werden; weitere Folgen hätten sie aber nicht zu erwarten.

Das ist ganz im Sinne von Roland Ewert, Leiter des Gymnasiums Bahrenfeld. „Ob die Demo zu Recht oder zu Unrecht ist, das sei völlig dahingestellt, aber die Schulpflicht besteht weiterhin“, sagte Ewert gegenüber der taz.

Daß man sich an die Weisung der Behörde halten und trotzdem seine Ablehnung publik machen kann, zeigte sich an der Theodor-Haubach-Schule in Altona. Dort hatten Eltern betroffener ausländischer Kinder auf die Problematik aufmerksam gemacht. Der größte Teil der Lehrerschaft sprach sich nach einer Konferenz für den Boykott aus – mit Rückendeckung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie hatte die Lehrer aufgerufen, den Protest zu unterstützen.

„Wir finden, daß der Gesetzentwurf das falsche Mittel ist. Wir kennen zwar den Anlaß, aber dieser Versuch ist absolut daneben“, äußerte sich Peter Zimmermann, Leiter der Theodor-Haubach-Schule. „Ich habe das Gefühl, daß da in Bonn eine Reihe Politiker Ausländerpolitik im Rundumschlag durchsetzen wollen.“

Kanthers Vorschlag werfe die Einwanderer zurück und lasse sie wieder mal spüren, daß sie in der Bundesrepublik als Ausländer gelten. Für die Familien komme neben dem beklemmenden Gefühl, sich bei der Ausländerbehörde melden zu müssen, auch noch der finanzielle Aspekt hinzu. Jeder Visumsantrag kostet 60 Mark.

Am Vormittag fehlten in Zimmermanns Schule von der fünften Klasse aufwärts rund die Hälfte der SchülerInnen. Erst gegen 13 Uhr trafen einige Jugendliche ein, um Plakate für die Demonstration am Nachmittag zu malen. 16- und 17jährige SchülerInnen der Klasse 10a aus Bosnien, Türkei, Albanien, Ghana und Rußland fragten auf ihren Plakaten „Wozu Visum?“ oder stellten Deutschland als Käfig dar, in den man nicht mehr hinein kann.

Armin Struve