Weltraum-Malefiz

Im Spektakel „Space Dream“ überwinden Zukunftsmenschen den intergalaktischen Todesstreifen. Wird Berlin jetzt Musical-Hauptstadt?  ■ Von Daniel Bax

Ein Ort mit Format: Das größte zusammenhängende Gebäude Europas, gar das viertgrößte der Welt soll der Flughafen Tempelhof sein. Und ein Ort mit Geschichte: 1924 erbaut und in den dreißiger Jahren von den Nazis erweitert, erlangte der Flughafen während der Berlin- Blockade als Landeplatz der „Luftbrücke“ historische Bedeutung.

An diesem Mythos wollten sich die Macher des millionenschweren Schweizer Musical-Spektakels „Space Dream“ gern ein wenig teilhaben, als sie die leeren Werkhallen des Flughafenhangars II für ihre Berliner Inszenierung gewannen. Die historische Anlage sei geeignet, „den Gedenken des Brückenschlags zwischen zwei Völkern zu symbolisieren“, jubelt es aus der Pressemappe, schließlich handelt das abgespacte Musical genau davon.

Der Hangar II sieht jetzt aus wie eine dieser überdimensionalen, hypermodernen Provinzdiskos, die gern, vorzugsweise im Osten der Republik, auf die grüne Wiese gestellt werden, um mit Erlebnisgastronomie zu protzen. In die Wand eingelassene Fernsehmonitore und eine Großbildleinwand sorgen für das nötige High-Tech-Ambiente, im Foyer werfen blaue und rote Neonlichtröhren ihr futuristisches Licht auf die Bars, und von einer eigens installierten Restaurationsgalerie hat man einen guten Blick über das Geschehen. Die „Space Dream“-Sponsoren zeigen Präsenz mit Zigarettenwerbung und Orangensaftautomaten, derweil eifrige Musical-Mitarbeiter in silbrigen Kostümen durchs Publikum streifen.

Ab März wird die Halle auch von Firmen genutzt für sonstige Veranstaltungen, die dann freilich „Events“ heißen. Die gesamten Produktionskosten belaufen sich auf 14 Millionen Mark, 8 Millionen davon hat allein der Umbau der Räume verschlungen. Über die Kosten für die Lightshow schweigt der Veranstalter sich aus.

Schade nur, daß nicht mehr Geld ins Drehbuch gesteckt wurde, die Story um Liebe und Völkerverständigung im All. Nur soviel: Zwei außerirdische Ethnien, die Cruhls und die Tetons, sind durch eine Art intergalaktischen Todesstreifen getrennt und liefern sich regelmäßig, vertreten durch ihren jeweils besten Piloten, ein Ufo-Wettrennen im Weltraum – Star Wars meets The Wall.

Zwei Space-Sultane führen ihre Völker an, die in ihren wallenden Kostümen überdimensionalen Malefizmännchen ähneln. Die Gewänder der gefühlsdominierten Cruhls sind selbstverständlich gelb-rot, die der intellektgelenkten Tetons grün-lila und -blau. Irgendwie gerät noch ein traumwandelndes Erdenmädchen in die Auseinandersetzung, was natürlich nicht ohne Komplikationen abläuft, und zwei verliebte Roboter sorgen zusätzlich für Verwirrung.

Die Musik ist Brei, einzig das Titelstück bleibt im Ohr, während die meisten Charaktere selbst für Musical-Verhältnisse sehr flach gezeichnet sind und einen folglich kalt lassen.

Aber was sind Details? In die Handlung floß nicht nur der Fall der Berliner Mauer ein, sondern noch allerhand mehr schwergewichtige Symbolik: Verstand und Gefühl, Mensch und Maschine, Traum und Wirklichkeit – habe ich was vergessen?

Nein, Autor und Komponist Harry Schärer ist wohl nicht der neue Andrew Lloyd Webber, was ihm auch voll und ganz bewußt zu sein scheint, schreibt er doch in seinem Geleitwort: „,Space Dream‘ nimmt nicht in Anspruch, ein Meisterwerk zu sein oder sich mit anderen Produktionen messen zu wollen.“

In der Umsetzung finden sich gleichwohl einige Verweise auf bekannte Musical-Vorbilder – Rollschuhe und ein bißchen Rocky Horror – sowie Versatzstücke populärer Trivialmythen. Mehr als nur ein Hauch von „Independence Day“ liegt in der Luft, wenn die zuvor verfeindeten Astro-Völker mit vereinten Kräften einen apokalyptischen Meteoriten gerade noch davon abhalten können, alles Leben auf ihrem Planeten zu beenden.

„Ist danach Schluß?“ quengelt da ein Kind in der hinteren Reihe, dem von der Materialschlacht langweilig geworden ist und das fortan nicht mehr stillsitzen mag. Doch erst muß der böse Brocken aus dem All noch durch eine entsprechend zelebrierte Lasershow zerstückelt und gestoppt werden, bevor der Sternenhimmel wieder aufgeht und Frieden, Freiheit und Völkervereinigung im Universum einkehren. Drohend senkt sich gegen Ende eine Riesen-Diskokugel vom Bühnenhimmel, und alles liegt sich in den Armen, mündet in eine ebenso vorhersehbare wie kitschige Verbrüderungsszenerie. „Friends will be friends“, ertönt es dazu, auch das hat man schon mal irgendwo gehört.

Erstaunlich, daß dies die erfolgreichste Schweizer Musicalproduktion sein soll, die seit gut zwei Jahren die Massen nach Baden bei Zürich lockt. In Berlin will das Weltraumfahrtskommando, wenn die Sterne günstig stehen, bei 55 Prozent Auslastung schon in zwei Jahren schwarze Zahlen schreiben. Die Produzentin Brigitte Eichenberger setzt auf die bundesweit grassierende Musical-Mania, auf daß ihr der 14 Millionen Mark teure Weltraumschrott nicht abstürzt.

Wichtiger als die künstlerische Qualität ist ohnehin die aggressive Vermarktung. Allein 2,5 Millionen fließen in die Werbung, und Sponsoren sorgen für vergleichsweise knapp kalkulierte Eintrittspreise (32 bis 136 Mark) sowie, durch Firmenpakete, für volle Vorstellungen. Zu Previews wurden bereits der Kundenclub einer Berliner Supermarktkette und die Mitarbeiter eines Kaufhausmultis durch die Halle gescheucht. Es heißt, sie seien begeistert gewesen.

Ob Berlin damit endlich zur Musical-Stadt wird? Bis jetzt läßt der Boom im Berliner Musical- Betrieb jedenfalls noch auf sich warten, obwohl doch beim wachsenden Einzugsgebiet der Stadt große private Musical-Theater eigentlich so unvermeidbar sein müßten wie Multiplex-Kinos und Shopping-Mails. Das Risiko liegt in der Abhängigkeit von auswärtigen Besuchern, doch da vertraut die Branche auf den Akkumulationseffekt: Je mehr erfolgreiche Produktionen laufen, desto mehr Liebhaber des Genres werden auch als Berlin-Touristen angezogen.

Die Konkurrenzshow folgt unterdessen schon auf dem Fuße. Wolfgang Bocksch hat bereits die ganze Stadt vollpflastern lassen mit Plakaten, die seine Inszenierung von „Fame“ im Schiller-Theater ankündigen.

Weitere Aufführungen: Di.–Fr. 20 Uhr, Sa. 15 und 20 Uhr, So. 16 Uhr. Bis zum Abwinken.