Pflicht und Kür

■ betr.: „Staatliche Intervention ist gefragt“ von Sibylle Tönnies, taz vom 22. 2. 97

Die Diskussion um ein arbeitsunabhängiges Grundeinkommen muß mißverstanden werden, wenn Arbeit mit Erwerbsarbeit identifiziert wird. Denn auch unbezahlte Tätigkeiten können eine ähnliche Qualität aufweisen. So wäre es unsinnig anzunehmen, daß, wenn ich eine Putzfrau beschäftige, es Arbeit ist und wenn ich selber putze, ein Vergnügen. Ähnliches gilt für den Sinn der Tätigkeit, dürfte es doch jedem Kranken ziemlich egal sein, ob seine Pflegekraft bezahlt oder ehrenamtlich tätig ist.

Andererseits beinhaltet nicht jede Erwerbsarbeit eine hohe identitätsstiftende Qualität, beziehungsweise nicht jeder bezieht sich in seiner Identitätsbestimmung so stark auf seine Arbeit. Wenn sich Bremer Stadtteilpolitiker nicht von Frankfurtern unterscheiden, bieten sie ein anschauliches Feld von Leuten, die sich in erster Linie über ihr politisches Engagement definieren. Gleiches läßt sich sicherlich bei Sportlern etc. finden. Man könnte es mit Eiskunstlauf vergleichen, die Erwerbsarbeit ist die Pflicht, die Selbstdarstellung passiert in der Kür.

Es ist nicht zu leugnen, daß es häufig zu den von Frau Tönnies genannten negativen Veränderungen in der psychischen Verfassung kommt. Sie bleibt aber den Beleg schuldig, daß die auslösenden Momente der fehlenden (Erwerbs-)Arbeit naturwüchsig angehören und damit unveränderliche Fakten darstellen. Und zu den Faktoren zählen zweifelsohne auch sozialer Abstieg und prekäre Zukunftsaussichten. Ob Gefühlen von Marginalität, Nutz- und Wertlosigkeit tatsächlich nur durch Erwerbsarbeit zu begegnen ist, hängt doch auch sehr stark von der gesellschaftlichen Ausrichtung ab. Die derzeitigen Leitbilder von Erfolg als ökonomischer Erfolg, von Wettbewerb vor allem anderen, von Status gemessen an materiellen Gütern sind dazu sicher nicht geeignet, paaren sich aber hervorragend mit einem „ultraliberalen“ Staats- und Gesellschaftsbild, gegen das ich gern mitkämpfe. Thomas Obeth, Frankfurt/Main

Intervention bitte nicht von diesem Staat.

O.k., in der Debatte um strukturelle Massenarbeitslosigkeit werden die destruktiven Wirkungen verkannt. Aber: Nicht das Ende der Arbeit, sondern das Ende der Lohnarbeitsgesellschaft wird uns nicht erspart.

O.k., anstatt des Selbstregulierungsaberglaubens braucht jeder historische Abschnitt seine eigenen Lösungen. Also 1997: Wegen unseres gesellschaftlichen Reichtums, unserer Verantwortung im globalem Denken und lokalem Handeln und unseres Produktivitätsniveaus sind nachbürgerliche Ziele anzustreben.

O.k., noch sind zu wenige Menschen in der Lage, ihre selbstentworfene Alltagsgestaltung durchzusetzen. Darum: Wenn Lohnarbeit obsolet und Umwelt wie Selbstwert zerstörende Produktionstätigkeit nicht zukunftssichernd sein kann, dann muß die Kritik an intellektuellem Yuppietum zur Forderung führen: selbstbestimmte Arbeit als Identitätsfaktor nach der materiellen Grundsicherung des Existenzminimums. Georg Fischer, Schefflenz