Der Würfel

Klar, Hamburg tut wahnsinnig viel für de moderne Kunst, wie zun Beispiel das neue Gebäude neben de alte Kunsthalle. Studienrat Arnold, der sich regelmäßig de „Zeit“an mein' Kiosk holt, damit er genau weiß, was für ne Meinung über de moderne Kunst er vor seine Schüler vertreten soll, weiß allerdings nicht so recht ... „Irgendwie“, sagt er, „erinnert mich das an die Bauten des Nazi-Architekten Speer, auch hier diese monumental-brutale Sachlichkeit.“„Ich finde“, meint Sonnenbank-Heinzi, „das Ding sieht aus wie'n Schuhkarton in groß ...“„Was sind denn das für Vergleiche!“ruft jetzt Revierförster Noske dazwischen. „Das Gebäude drückt doch Sachlichkeit und Geradlinigkeit aus, es zeigt das kantige Gesicht unserer Zeit, schnörkellos, auf das Wesentliche reduziert. In diesem Stil wünsche ich mir unsere Revierwachen und Strafvollzugsanstalten!" „Die sollen in dem Gebäude ja alles quadratisch gestylt haben“, weiß Heinzi, „sogar die Klobecken und Urinale: alle quadratisch.“„Das ist eben die Kunst!“zwitschert Nele Hütlein, die Junglürikerin. Und denn erzählt sie, daß sie neulich dabei war, als Promi, als der Pinneberger Kulturpreis verliehen worden ist. „Das Hamburger Umland zieht nämlich nach“, meint sie und daß sie sowas von begeistert war von diesen Künstler. Den Preis hatte nämlich ein gewisser Herr Walter abgegriffen, und an den konnte man so richtig sehn, wie man mit einfachste Mittel sogar aus den bankrotten Kreis Pinneberg 10.000 Mark Preisgeld rauslutschen kann. Frau Hütlein hatte denn auch de „Pinneberger Zeitung“mitgebracht und las vor: „,Der Benutzer wird bei den Werken des Preisträgers zum Mutanten', sagte Dr. Georg Syamken von der Hamburger Kunsthalle“, und ich: „Ich dachte, man wird bloß zu ein' Mutant, wenn man Rindfleisch aus England ißt.“Aber Frau Hütlein war nicht zu erschüttern: „Bei den Werken Walters probiert der Betrachter, der zum Benutzer wird, spielend neue Möglichkeiten aus. Er erfährt dadurch das Wunder der Selbstverwandlung. Er hat dann sein Werkstück ,Handlungsraum' vorgestellt. Es stammte zwar aus dem Jahre 1977, erwies sich aber immer noch als brennend aktuell. Der Künstler zog sowohl eine weinrote Hose als auch eine weinrote Jacke aus wasserabweisendem Stoff an und stellte sich mit zwei etwa zwei Meter hohen Stangen in der gleichen Farbe vor zwei in einem rechten Winkel auf- gestellte Stellwände.“Als sie soweit gekomm' is, schiebt sich Berber Harald zwischen de Anwesende, und als er jeden von uns ne „Hinz und Kunz(t)“aufgedrückt hat, rötert er: „Ich glaub, ich weiß jetzt, wie moderne Kunst funktioniert!“„Wie denn?“legt Studienrat Arnold sein' Kopp schief. „Na“, grient Harald, „wenn ich zun Beispiel auf unseren Bürgermeister zugehe und ihm in Form einer Kunst-Aktion ins Gesicht spucke, dann ...“„Was soll das denn?“schiebt Studienrat Arnold sein' Hals aussen Oberhemdkragen. „Na“, meint Harald, „erstens provozieren Künstler ja sowieso, das liegt in ihrer Natur, und zweitens erfährt der Kunstausübende und der Kunstbetroffene das Wunder der Verwandlung und Selbstverwandlung: Ich freue mich, daß ich getroffen habe, und der Bürgermeister kriegt einen Wutanfall, und zwar derart massiv, daß er durchaus zu einem Mutanten wird.“„Ich versteh' immer noch nicht“, sag ich, „warum du den Bürgermeister anqualstern willst.“„Hast du schon mal überlegt“, sagt Harald, „wieviele Drogenberatungsstellen, Übernachtungsmöglichkeiten für Nichtseßhafte, Stadtteilbibliotheken, Hafenkrankenhäuser und Streetworkerstellen man für diese Kunsthaus-Millionen ...“Er hat noch weitergelabert, aber ich hab schon gar nicht mehr hingehört, wo doch jeder weiß, sogar der Kanzler mit sein' enggeschnallten Gürtel, daß bei ENTBEHRLICHE Sachen gespart werden muß!