„Das Ding ist warm, und warm ist gefährlich“

■ Beim Castor-Transport reist die Angst vor Krebs gleich mit / Einschätzungen des Marburger Nuklearmediziners Kuni offiziell „zu hoch“

Hannover. „Natürlich gibt es viele, die nicht begeistert sind, direkt am Castor eingesetzt zu werden“, sagt der Mann aus der Führungsspitze der Polizei in Niedersachsen. Trotz aller Versicherungen, daß von den Castor-Behältern für hochradioaktiven Atommüll keine Gefahr für den Begleitschutz ausgeht, ist manchen Beamten mulmig zumute. „Das Ding ist ja unheimlich warm, und was warm ist, ist ja sowieso immer gefährlich“, umschreibt der Mann die Stimmung unter den zum Castor abkommandierten Kollegen. Die Angst vor Krebs, ausgelöst durch die radioaktive Strahlung aus den tonnenschweren, an der Oberfläche 60 Grad warmen Stahlbehältern, reist mit auf ihrem Weg ins Zwischenlager Gorleben.

Genährt wird die Furcht, die eigene Gesundheit zu riskieren, zum Teil durch Interessensvertreter der Polizei selbst. Die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund bezeichnet den Transport mit Blick auf die Neutronenstrahlung als zu gefährlich. Die Gewerkschaft der Polizei geht einen Schritt weiter und fordert bereits seit Wochen den Verzicht. Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace sieht ebenso wie der Naturschutzbund Deutschland unvertretbare Gesundheitsrisiken.

Die Kritiker des Transports stützen sich im wesentlichen auf den Marburger Nuklearmediziner Horst Kuni. Der war bereits 1995 mit der These an die Öffentlichkeit getreten, die besonders gefährliche Neutronenstrahlung werde ungenügend berücksichtigt. Seine Äußerungen wie „sie (die Neutronenstrahlen) haben eine viel größere Wirksamkeit auf den Menschen, wenn es darum geht, Krebs auszulösen oder Erbänderungen zu bewirken, als zum Beispiel die Gammastrahlen“veranlaßten Niedersachsen damals, Transportschutz bis zur Klärung der angeblichen Gefährdung zu verweigern.

Nach einer Expertenanhörung, bei der die Fachleute zu dem Ergebnis kamen, daß Kuni die Gefahr von den Neutronenstrahlen zu hoch eingeschätzt hatte, wurde der Begleitschutz wieder freigegeben. Daran änderte sich auch nichts, als Greenpeace 1996 eine erweiterte Kuni-Studie aufnahm und erneut den Transport-Stopp forderte. Beim derzeitigen Transport gilt nun wie bereits 1996 ein Strahlengrenzwert von einem Millisievert. Nach Messungen kann dieser nach vier Stunden Dienst in unmittelbarer Nähe des Castors erreicht werden. Deshalb dürfen sich die Beamten auch nicht länger als vier Stunden in der Nähe des Behälters aufhalten.

Wegen dieser Frist kommen möglicherweise Probleme auf Polizei und Bundesgrenzschutz zu: Auf der 20 Kilometer langen Straße vom Endbahnhof Dannenberg in Niedersachen bis zum Zwischenlager ist es schwierig, Ersatzkräfte an die Castor-Behälter heranzuführen. „Schon im vergangenen Jahr gab es Blockaden, die Ersatzhundertschaften behinderten“, schildert ein Sprecher der Einsatzzentrale in Lüneburg die Probleme. Zur Sicherheit werden alle direkt am Castor eingesetzen Beamten einen persönlichen Dosimeter tragen. Außerdem werden Experten laufend Messungen vornehmen.

Auch Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) nimmt die Sorgen ernst. Sie beteuerte am Freitag erneut, daß durch den Atommülltransport das Begleitpersonal oder die Bevölkerung keinen gesundheitsgefährdenden Strahlen ausgesetzt sei. „Ich bedauere, daß durch wissenschaftlich nicht begründbare Behauptungen und deren ständige Wiederholungen Ängste geschürt werden.“

Die Polizisten jedenfalls wollen trotz der Befürchtungen ihren Auftrag erfüllen. Bislang gebe es weder Beamte, die den Einsatz verweigerten, noch eine äußergewöhnliche Häufung von Krankmeldungen, hieß es aus Polizeikreisen.

Hans-Edzard Busemann, dpa