„Da werden richtig Anklagen gezimmert“

■ Ein großer Teil der Strafsachen rings um Gorleben sammelt sich in Hamburger Rechtsanwalt-Büros

taz: Was ist die juristische Bilanz der Tage X von 1995 und 1996?

Dieter Magsam, Hamburger Rechtsanwalt: Eingestellte Verfahren, Freisprüche, die eine oder andere geringe Geldstrafe. Das Dannenberger Amtsgericht ist schlecht vorbereitet und vor allem deswegen in Verzug, weil die Staatsanwaltschaft Lüneburg haltlose Anklagen schreibt. Im Augenblick werden gerade mal Vorfälle vom ersten Tag X, April 1995, verhandelt: Etwa 400 Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen das Demonstrationsverbot, die durch die Instanzen wandern, weil das Verwaltungsgericht Lüneburg die Demo-Verbote für rechtswidrig erklärt hat.

Wer zeigt denn wen an?

Die Polizeieinheiten schreiben nach den Demos Berichte und lassen die Staatsanwaltschaft daraus Anklagen zimmern. Die Braunschweiger Einheiten erstatten die meisten Anzeigen. Da schreiben die einzelnen Polizisten voneinander ab und können sich dann als Zeugen vor Gericht an nichts erinnern. Auf der anderen Seite werden die rund 130 Anzeigen, die etwa nach dem Tag X hoch 2 gegen Polizeibeamte eingegangen sind, überhaupt nicht bearbeitet.

Welche Vorkehrungen sind dieses Jahr getroffen worden?

Es gibt einen Anwaltlichen Dauerdienst. Unter anderem haben Anwälte der Strafverteidiger-Vereinigung und die Vereinigung Demokratischer JuristInnen sowie das Komitee für Grundrechte alle Kollegen dazu aufgerufen, zu den Demonstrationen zu fahren. Dort sammeln wir mit Diktiergeräten und Fotoapparaten so viele Zeugnisse wie möglich. Im Wendland wird ein Anwaltsnest eingerichtet, das ständig über den Ermittlungsausschuß Dannenberg erreichbar ist. Von dort aus werden wir uns vor allem um die Leute in der Gefangenensammelstelle in Neutramm kümmern. Dort wurden auch letztes Mal Hunderte von Demonstranten hingekarrt.

Wie lange können DemonstrantInnen festgehalten werden?

Noch am Tag X hoch 2 sah das Niedersächsische Recht vor, Leute längstens acht Stunden festzuhalten, ohne sie einem Richter vorzuführen. Seit den Chaostagen wurde das Limit auf die bundesweit üblichen maximal 48 Stunden hochgesetzt.

Im hundert Meter breiten „Transportkorridor“herrscht Demoverbot. Kann man dafür aufgegriffen werden, daß man dort hockt?

Die Mühe werden sie sich kaum machen. Abzusehen ist allerdings, daß die Polizei sich in diesem Jahr nicht die Umstände machen wird, die Leute einzeln von der Straße zu tragen. Ich habe tatsächlich Angst, daß sie noch einmal voll draufhalten werden. Allerdings verbietet das Niedersächsische Recht, dem Wasser der Wasserwerfer Gas beizumischen. Die Polizisten werden wohl einzelne Sprühgräte bei sich haben. Fragen: U. Winkelmann