Radiofrühling zu Tode saniert

Mit der Neuordnung der Radiowellen von SFB und ORB verschwindet mit SFB 2 ein in Westberlin legendäres Programm. Einstellung im August  ■ Von Lutz Meier

Jetzt gehen die Quoten sogar wieder nach oben. Da ist es wieder fast wie früher: Die Moderatoren bringen eigene Platten mit und spielen, wozu sie Lust haben. Wortbeiträge gibt es ohne Zeitbegrenzung und abends sind lange Musiksendungen zu hören. Doch es ist nur ein wenig von der traurigen Anarchie der Verzweiflung, die dem SFB-Radio „BZwei“ schließlich wieder ein paar Hörer zutreibt, nachdem es im letzten Jahr ganz unten gelandet war. Nachdem die als Privatradio-kompatible Massenwelle formatierte Station bei lächerlichen 1,7 Prozent Marktanteilen landete – weniger als manches Hochkulturprogramm – und nachdem die Wellenleitung die Welle verlassen, die Geschäftsführung sie aufgegeben hatte.

Allein schon der Name „BZwei“, wie BZ. Wer dagegen Menschen, die schon lange in dieser Stadt leben, auf die vormalige Kennung SFB 2 anspricht, erntet nicht selten ein Glänzen in deren Augen: „Als ich in den siebziger Jahren studierte“, berichtet eine, „da sahen alle, daß sie um sechs Uhr abends zu Hause waren, um den SFBeat zu hören.“ Später, berichtet eine andere, „gab es abwechselnd zwei Morgenmoderatoren: Juliane Barthel (die heute III nach 9 moderiert; d. Red.) und Hans Werner Kock – der war für das CDU-Publikum. War die Barthel dran, habe ich das Radio mit in die U-Bahn genommen. Kam der Kock, hab ich's mit dem Wecker ausgeschlagen.“ Es waren die Tage der Hausbesetzungen, der Frauenhäuser, der Ökoproteste, und „wenn man abends auf einer Demo war“, so eine Ex-Mitarbeiterin, „konnte man morgens im SFB alles darüber erzählen“. Das „Morgenecho“, die tägliche Frauensendung „zeitpunkte“ und schließlich „SFBeat“, sie brachten die Themen dieser Zeit kritisch-journalistisch in eine Stadt, die kritische Publizistik kaum kannte. „Es war ein Sound in der Stadt“, so die Hörerin heute über SFB 2. Und der musikalische Sound vom SFBeat waren die Independent- bands.

Das ist alles dahin. Als der Radiofrühling von SFB 2 dann enden sollte, annoncierte der Sender einen ebensolchen. Das war der Name für die Zeit der Klangteppiche, der Durchhörbarkeit. Da war Rias 2 mit Formatradio und das private Hundert,6 mit Boulevard gekommen und im SFB hieß es: „Wir müssen das auch machen.“ Je beständiger die Marktanteile sanken, desto regelmäßiger wurde reformiert. Der Versuch, den beamtenhaften SFB mit seinen gähnenden Fluren, seinen Abteilungen und Unterabteilungen wie ein Privatradio klingen zu lassen, nahm immer absurdere Formen an. Das Ziel der Politik, den Privatfunk zu stärken, wurde zudem bis in den politikdominierten Rundfunkrat exekutiert – wo es um das „alte“ SFB 2 ohnehin nur Krach gegeben hatte. „SFB 2 ist kaputtreformiert worden“, meinte der einstige SFBeat-Mann Helmut Lehnert, der dann für den Sender das „Radio 4 U“ aus der Taufe hob, das nur einen Sommer tanzen durfte – heute ist er Chefredakteur der ORB-Jugendwelle Fritz.

Inzwischen waren die Redakteure resigniert oder abgewandert, und während die Geschäftsleitung ihre Orientierungslosigkeit immer dürrer verbarg, wurde die Kreativität gegen den SFB-eigenen Hochmut getauscht. Überall legte sich, bis auf Inseln, der Mehltau des Senders über die Reste des einstigen Radiofrühlings. Der letzte Versuch im Sommer 1993 nahm dem Programm den Rest an emotionaler Bindung zu seinen Hörern: Von Niedersachsens Privat- „Radio ffn“ holte Intendant Günter von Lojewski als Wellenchef Axel Scehla, um das Programm nach allen Regeln des Werbeumfeldradios zu formatieren. Nach dem desolaten Ergebnis verließ Scehla seinen Posten, bezieht aber sein Gehalt weiter. Was von BZwei blieb, hat Sendeschluß, wenn zur Funkausstellung die neue ORB/SFB „High Quality“- Welle an den Start geht.

„Die Entwortung von SFB 2 war der Anfang vom Ende“, resümiert die grüne Mediensprecherin und Ex-Rundfunkrätin Alice Ströver. Sie kann nicht einsehen, daß für eine Integrationswelle kein Platz mehr sein soll: „Für ein anspruchsvolles, interessiertes Hörpublikum, das nicht unbedingt Klassik will, gibt es nach wie vor kein Informations- und Kulturprogramm.“ Mit der Einstellung des Programms verabschiede sich der SFB davon, überhaupt noch Hörer unter 50 gewinnen zu wollen – Zukunft abgemeldet. Doch aus der Asche steigt etwas, das dem Wunsch der alten SFB-2-Hörerin genügen könnte: Das ORB-Konzept für ein „High Quality“-Programm verspricht intelligentes Radio für die Neunziger. Und der einstige SFBeat-Mann Helmut Lehnert wird Chefradakteur der neuen Welle.

Siehe auch Seite 16