Hasenmilch in Dosen

Künstlerinnen in Berlin (IV): Ulli Beckers, die in ihren Zeichnungen und Collagen eine eigentümliche Vorliebe für Haustiere im allgemeinen und Schweine im speziellen erkennen läßt  ■ Von Cornelia Gerner

Es ist schwierig, einen Termin mit ihr zu vereinbaren: Seit einem halben Jahr macht Ulli Beckers ein Referendariat an der Reinickendorfer Bettina-von-Stuttner-Oberschule. Schließlich klappt es doch – nicht im Atelier, sondern abends in ihrer Wohnung. „Das, was ich jetzt mache, ist wahnsinnig konträr zu der Art, wie ich vorher gelebt habe. Du wachst morgens auf und hast das Gefühl, du hast eine Zange um den Kopf.“

Sie zeigt die Collagen, die zuletzt entstanden sind. Zum Beispiel die Serie „Hans im Glück“: ein Mann mit rotem Kopf und ohne Gesicht. Er trägt ein großes Schwein. Hans ist einer Figur Max Neumanns nachempfunden, die an der Wand hängt. „Es gibt so Sachen, da macht es klick, und ich beiße an“, erklärt sie und legt eine Zeichnung nach der anderen auf den Tisch. Alles Schweine, große überdimensionierte „Monsterteile“, wie sie sagt, mit Titeln wie „Rippchen“, „Rosige Zukunft“, „Schwarzhintern“ oder „Large Blue“. Letzteres meint ein blaues Schwein – abgeleitet von der Rassebezeichnung „Large White“. Aber auch „Kartoffelsalat und Würstchen“ steht da und „Leberwurstbrot oder Der Appetit muß gestillt werden“. Und in der Tat – es sind Leberwurstbrote, seriell auf Klarsichtfolie fotokopiert und in eine Zeichnung geklebt. Die Künstlerin schreibt diese kurzen Texte und Wörter mit der linken Hand. Ihre „sonst zu flüssige Handschrift“, meint sie, würde nicht zu den spröden Zeichnungen passen. Die Titel werden in einer Vorratstüte gesammelt.

Aus ihren Büchern zieht Ulli Beckers einen Fotobildband mit dem Titel „Viechereien“ hervor: Porträthafte Aufnahmen von preisgekrönten Schweinen, Rindern, Schafen und Ziegen und ihren Besitzern. Absurde Familienfotos, sinnlich und schön fotografiert, die stolze Bauern, liebevolle Krawattenträger und Frauen mit Wollmützen in einem komischen Größenverhältnis zu den prächtigen Tieren zeigen. Als sie dieses „wundervolle Buch“ im Geschäft sah, hat sie gleich gemerkt, daß es vor allem die Schweine waren, denen ihr „Appetit“ galt, erzählt Ulli Beckers. Und das, nachdem sie jahrelang Hasen in allen Lebenslagen, springend, sitzend und auf der Flucht, naturgetreu oder in Plätzchenform seriell gezeichnet bzw. gestempelt hat.

Oft waren die Hasen mit den für Ulli Beckers typischen Aktfiguren im Blatt zusammengebracht, die ihre merkwürdig klobige Erscheinung durchs Blindzeichnen erhalten, denn die Künstlerin schaut beim Aktzeichnen ausschließlich aufs Modell, ohne die zeichnende Hand zu kontrollieren. Im „Hasenregal“ stehen leere Milchflaschen und mehrere Stapel von Kondensmilchdosen mit dem Stempelaufdruck „Hasenmilch, mind. 23% Fett“ auf den Etiketten. Einige Dosen befinden sich in Plexiglaskästen. Hasenmilch ist etwas sehr Spezielles, so Beckers Erklärung. Sie hat gelesen, daß man diese Milch mittlerweile sogar für Medikamente verwendet. Später, beim Durchblättern ihrer gelben, linierten Karteikarten-Collagen, fallen zwei Hasenkarten auf. Auf der einen steht „Thronfolger gesucht“. Auf der anderen „Die Erbfolge ist ungesichert“. Damals wußte sie noch nichts von den Schweinen.

Ulli Beckers wurde 1959 in Bonn geboren. Sie studierte in Berlin Kunst und Sport, machte in beiden Fächern Staatsexamen und schloß 1989 an der Hochschule der Künste als Meisterschülerin ab. Neben einem zweijährigen Atelierstudium der Karl-Hofer-Gesellschaft erhielt sie bis 1993, vier Jahre hintereinander, einen Werkvertrag vom Senat für Kulturelle Angelegenheiten. Ulli Beckers hatte in den vergangenen zehn Jahren knapp 30 Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in Galerien und öffentlichen Räumen. Zu ihren Aktivitäten zählen aber auch Projekte wie „Lü21“ von 1989, als KünstlerInnen unter den widrigsten Bedingungen, ohne Strom und Wasser, das Abrißhaus Lübecker Straße 21, Moabit, mit Kunst ausstatteten; oder „Muse küßt Muse“, eine Zusammenarbeit zwischen Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen, die 1985 im Lindau-Museum in Altenburg dokumentiert wurde.

„Letztes Jahr“, erzählt Ulli Beckers, „habe ich mich zum Referendariat entschlossen.“ Die vielen Sportkurse, die sie gab, hingen ihr zum Hals raus. Hinzu kamen immer schwierigere Bedingungen für Künstler in Berlin: Probleme mit dem Atelier (Wiebestraße), Kampf ums Stipendium, ignorante Galeristen. „Für die künstlerische Arbeit ist Abstand auch mal sehr gut. Und mit den Schülern, das macht Spaß.“

„Mein Thema ist ,Mensch und Tier‘. Das äußerlich Sichtbare, die Psyche, der Instinkt.“ Ulli Beckers spricht stehend, obwohl sie sich auch setzen könnte. Einmal ist sie bei einer Obduktion gewesen: „Dabei wurde mir klar, daß sich Menschen und Tiere körperlich nicht unterscheiden. Menschen sind Tiere.“ Sie interessiert sich trotzdem für die besonderen Tiere, für die Prachtexemplare oder auch für Spitzensportler. Dementsprechend entstanden 1992 die Gewichtheberserie zu Manfred Nerlinger und 1996 einige kleine Blätter zum fünffachen Tour-de- France-Sieger Miguel Induráin, dessen herausragende Qualitäten darin aufgelistet sind: Gewicht, Größe, Lungenvolumen, Pulsfrequenz ohne Belastung, Pulsfrequenz mit Belastung.

Ein gerahmtes Kinderfoto zeigt Ulli Beckers zuletzt neben einer riesigen Dogge: Der schwarze Koloß sieht doppelt so groß und dreimal so schwer wie das Kind aus.