Lebenshilfe an der Costa Blanca

Der Russe Wladimir hat sich an der spanischen Mittelmeerküste niedergelassen. Dort will er den immer zahlreicher werdenden russischen Touristen mit Tips und Infos zur Seite stehen  ■ Von Alexa Meyer

Wladimirs Blick bleibt an dem großen Felsen hängen, der in Bucht von Javea weit ins Wasser ragt. „Dieser Blick erinnert mich immer an den Ort, an dem meine Eltern leben“, sagt er. Obwohl dieser Ort sehr weit weg ist, an der Küste des Schwarzen Meeres im Kaukasus. Wladimir war schon lange nicht mehr dort. Der 40jährige Wladimir war einer der ersten Russen, die das sonnige Mittelmeerland als neue Heimat wählten. Vor drei Jahren kam er aus dem Kaukasus in die spanische Küstenstadt Valencia, um dort Russisch zu unterrichten. Per Zufall erfuhr er von einem Maklerbüro im 21.000-Seelen-Ort Javea, an der Costa Blanca zwischen Valencia und Alicante gelegen. Dort wurde ein russischsprachiger Mitarbeiter gesucht. Wladimir zog dort hin und vermietet seitdem Häuser. Und fühlt sich wohl dort.

Mittlerweile hat es viele Russen nach Spanien verschlagen, doch eher in Orte mit so bekannten Namen wie Lloret de Mar an der Costa Brava im Norden und Marbella an der südlichen Costa del Sol, Partnerstadt von Moskau. Neuestes Ziel der russischen Einwanderer ist die Costa Blanca. Auch wenn Wladimir und seine Kollegin Irena in Javea bis jetzt noch Pioniere sind, im 50 Kilometer weiter südlich gelegenen Torrevieja zählt die russische Gemeinde schon stolze 3.000 Familien.

Es gibt drei russische Restaurants und viele „Wir sprechen Russisch“-Schilder. Touristen aus Rußland fühlen sich in Torrevieja gut aufgehoben. Von Jahr zu Jahr werden es mehr. Das Tourismusministerium in Madrid spricht von insgesamt rund 200.000 russischen Touristen, die letztes Jahr Urlaub in Spanien machten; es existieren bereits 190 russische Reiseveranstalter, die das Mittelmeerland ins Programm aufgenommen haben.

Daß es immer mehr seiner Landsleute hierher zieht, beobachtet Wladimir mit gemischten Gefühlen. „Je mehr Russen kommen, desto mehr schlechte sind dabei“, sagt er. Dennoch hält er die Gerüchte über die „Russenmafia“ und Geldwäsche durch Investitionen in Immobilien für einen Mythos. Die spanischen Behörden sehen das anders. Sechzehn „Mafiabanden“, deren Hauptbetätigungsfelder die Geldwäsche, Rauschgift und Prostitution sind, hat man bereits an der Küste ausgemacht, davon 13 mit ausländischen Mitgliedern. Und der Staatssekretär für Sicherheit, Ricardo Marti Fluxa, bezeichnete die Einwanderung russischer Bürger als „beunruhigend“. Der Gouverneur von Malaga gab unlängst zu, daß die Stadt eine der wichtigsten Geldwäschereien Spaniens sei. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität sei allerdings noch nicht verloren. Nach monatelangen Beteuerungen, man könne nicht von organisierter Kriminalität oder gar Mafiagruppen sprechen, denkt man in Marbella ebenfalls um. Nachdem dort im September letzten Jahres ein Staatsanwalt, ein Polizist und zwei französische Staatsbürger ermordet wurden, kündigte Polizeidirektor Juan Cotino in Sevilla die Einrichtung einer Spezialeinheit der Polizei für den Kampf gegen die Mafia an. Mindestens 2.000 potentielle Mitglieder von Mafiagruppen, denen große Summen Geld zur Verfügung stehen, vermutet man in Marbella. Spaniens Innenminister Jaime Mayor Oreja berief im Oktober einen Polizeigipfel ein, um über Mittel gegen die organisierte Kriminalität an der Costa del Sol zu beraten. Ergebnis ist die Einrichtung von Antimafiagruppen.

An der Costa Blanca ist man noch etwas zurückhaltender. Offizielle Bestätigungen über die Existenz organisierter Kriminalität gibt es nicht. Aber die Spekulationen häufen sich, vor allem seitdem in Torrevieja vor kurzem ein Restaurantbesitzer entführt wurde. Sechs Russen wurden festgenommen und warten in Untersuchungshaft auf ihren Prozeß. Es wird gemunkelt, daß mittlerweile auch die Costa Blanca als Geldwaschanlage entdeckt wurde.

Wladimir glaubt allerdings, die russischen Besucher seien ganz normale Touristen. Bei einem monatlichen Verdienst von 200 bis 300 Dollar könne sich fast jeder Russe nach zwei Jahren eine solche Reise für 500 bis 1.000 Dollar leisten. Wladimir möchte zumindest diese Touristen etwas mehr auf die kleinen Küstenstädte mit ihren ehemaligen Fischerhäuschen und Altstadtmärkten aufmerksam machen. Sein bester Vertrieb dabei ist die Mundpropaganda. Es hat sich herumgesprochen, daß sich hier jemand als Dolmetscher und Reiseführer anbietet. „Lebenshilfe“ nennt er das.

Mit dem braungebrannten Gesicht und den dunklen Haaren ist Wladimir von den spanischen Küstenbewohnern kaum zu unterscheiden. Er fühlt sich hier aufgehoben. „Die Spanier haben einen ähnlichen Charakter wie die Russen und auch sonst vieles gemeinsam mit ihnen“, erklärt er. Nur ein einziges Mal lacht er laut auf, als ihm ein Unterschied zwischen Russen und Spaniern einfällt: „Ich werde häufig gefragt, wie man machismo oder macho ins Russische übersetzt. Ich sage dann immer, das Wort gibt es in Rußland nicht, machismo ist dort völlig normal.“