Große Dividenden für Kleinanleger?

■ In Deutschland gibt es weniger Aktionäre als anderswo. Die Branche rechnet mit Kurssteigerungen von 12 Prozent im Jahr

Im Jahr 1949 waren 6.000 Mark weit mehr, als die Mehrheit der Bundesbürger hätte erübrigen können – was schade ist, denn wer beim Börsengang der Volkswagen AG diese Summe in Anteile des Autokonzerns investiert und seitdem nicht mehr angerührt hätte, wäre heute Millionär. Das hat jedenfalls die Deutsche Bank ausgerechnet, die natürlich ein gewisses Interesse an derart überzeugenden Beispielen hat – geht es doch darum, die Deutschen zu mehr Engagement auf dem Aktienmarkt zu animieren.

Die Bundesbürger haben schätzungsweise fünf Billionen Mark auf der hohen Kante. Das meiste davon liegt in Form von Sparbüchern, Bausparverträgen und ähnlich konservativen Anlageformen fest und nützt somit nach Meinung der Investmentexperten niemandem so recht: weder den Sparern, die sich mit Renditen zwischen zwei und sechs Prozent zufriedengeben müssen, noch der Wirtschaft, die all das viele Geld lieber zur Deckung ihres Kapitalbedarfs nutzen möchte. Bis zu 1.500 deutsche Unternehmen spielen angeblich mit dem Gedanken, in nächster Zeit an die Börse zu gehen.

Doch noch immer denken die meisten Sparer beim Wort „Aktie“ offenbar eher an windige Spekulationen als an berechenbare Geldvermehrung. Von der Möglichkeit, sich an Aktienfonds zu beteiligen, haben nach einer vom Bundesverband Deutscher Investment-Gesellschaften in Auftrag gegebenen Erhebung 16 Prozent der Befragten noch nie etwas gehört. Nur rund fünf Prozent der Bundesbürger besitzen Unternehmensanteile, wobei ein Gutteil hiervon erst seit der Emission der Telekom- Aktien zum Kreis der Anleger gehören dürfte: Insgesamt zwei Millionen Deutsche haben Anteile an dem Telefonmonopolisten erworben, dessen Börsengang mit einem Volumen von 20 Milliarden Mark soviel Geld einbrachte wie alle derartigen Unternehmungen der letzten sieben Jahre zusammen.

Doch nicht erst die T-Aktie hat die Kleinanleger auf die Beine gebracht. Schon Anfang der 80er Jahre begann eine Welle von Emissionen auch vergleichsweise kleiner Unternehmen, und im September 1994 nutzte die Firma Fielmann erstmals die mit dem 2. Finanzmarktförderungsgesetz geschaffene Möglichkeit der „5-Mark-Aktie“ zur breiten Streuung ihrer Anteile. Die zunehmende Verunsicherung der Bürger über die Sicherheit ihrer Renten tut ein übriges: Aktienfonds als langfristige Geldanlage zur Alterssicherung erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, und die Branche wird nicht müde, an die Verhältnisse in Ländern wie den USA oder Kanada zu erinnern, wo diese Art der finanziellen Vorsorge längst gang und gäbe ist.

Immer wieder beliebt ist dabei folgende Rechnung: Wer im Alter von 30 Jahren damit begonnen hat, monatlich 100 Mark in einen Aktienfonds einzuzahlen, darf sich mit 65 Jahren (also nach einer Gesamteinzahlung von 42.000 Mark) auf einem Kapitalpolster zwischen 180.000 und 280.000 Mark ausruhen – je nachdem, für welchen Fonds er sich entschieden hat, wann er ein- und wieder ausgestiegen ist. Das entspricht Renditen zwischen 7,5 und 9,2 Prozent und liegt somit weit über dem, was sich zum Beispiel mit Bundesschatzbriefen erwirtschaften läßt. Und dabei muß, wer in einen Fonds einzahlt, keineswegs die täglichen Börsennachrichten verfolgen und bei drohendem Konkurs bestimmter Unternehmen schlaflose Nächte verbringen. Die großen Gesellschaften kümmern sich – gegen Gebühr – um das komplette Management und investieren das Geld der Anleger breit gestreut, wodurch sie Verluste kompensieren können – jedenfalls meistens. Über lange Zeiträume läßt sich seit der Währungsunion tatsächlich für jede beliebige Periode immer ein Gewinn errechnen.

Solche Bilanzen scheinen zu überzeugen. Jedenfalls stieg die Zahl der – obendrein staatlich geförderten – Aktienfonds-Sparverträge von 1986 bis 1995 von 200.000 auf über 2 Millionen. Und auch Skeptiker äußern nur verhaltene Kritik an den Bilanzen der Aktienfonds: Die Beobachtungszeiträume, in denen die Branche jährliche Kurssteigerungen von durchschnittlich 12 Prozent errechnet, seien mit Bedacht so gewählt, daß sich besonders günstige Werte ergeben. Dem halten die Fonds-Manager entgegen, daß in den Vereinigten Staaten entsprechende Berechnungen schon seit 120 Jahren angestellt werden und sich auch hier Durchschnittsgewinne von 12 Prozent pro Jahr ergeben. Um wieviel Prozent dieser Wert durch den großen Wall-Street-Krach von 1929 gedrückt wurde, hat indes noch niemand ausgerechnet. Jochen Siemer